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NEUE NETZE BRAUCHT DAS LAND

Wie Mathias Noe die Stromversorgung in Großstädten zukunftsfähig machen möchte.

Komponente für einen supraleitenden Strombegrenzer


1,6 Milliarden Menschen haben laut den Vereinten Nationen keinen Zugang zu elektrischer Energie. Während die Bevölkerungszahlen weltweit steigen, stockt der Auf- und Ausbau einer stabilen Stromversorgung. Allein China investiert jährlich hohe Milliardensummen in den Bau tausender Kilometer Hochspannungsleitungen. Auch in Deutschland fordert die Energiewende moderne, ausgebaute Netze. Neue Leitungen stoßen jedoch auf Widerstand: Von Kiel bis Freiburg protestieren Bürger gegen geplante Stromtrassen und fordern eine unterirdische Verlegung der Hochspannungsleitungen. Das Problem: Erdkabel sind teurer und aufwendiger. Ein Teil der Lösung könnten Supraleiter sein. KIT-Professor Mathias Noe arbeitet daran, dass diese komplexe Technologie einsatzfähig wird.

Supraleiter sind Materialien, die mit hundertfacher Stromdichte Elektrizität effizienter leiten. Ein höherer Wirkungsgrad durch geringere Verluste und eine kompakte Bauweise machen sie für viele Anwendungen geeignet. Die Handhabung der Supraleiter ist allerdings kompliziert, da sie eine Kühlung auf unter minus 183 Grad erfordern und das spröde Material die Herstellung einsatzfähiger Kabel erschwert.Gemeinsam mit Industriepartnern entwickelt das Forschungsteam um Mathias Noe kostengünstigere und robustere Hochtemperatursupraleiteranwendungen der zweiten Generation, zum Beispiel auf Basis von Yttrium-Barium-Kupferoxid. Das Ziel: technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit.

„Die Investitionen, die zum jetzigen Stand in die Technologie fließen, werden sich nachhaltig auszahlen.“

Professor Mathias Noe

 

Durch ihre Eigenschaften könnten die Supraleiter ein ausschlaggebender Faktor in der deutschen Energiewende werden. Das Grundproblem: Wind- und Solarenergie kann momentan nicht ausreichend gespeichert werden und muss daher im gleichen Maß direkt verbraucht werden, wie es eingespeist wird. Die Entfernungen zwischen den Orten, wo Energie produziert und wo sie gebraucht wird, sind teilweise jedoch sehr groß, zum Beispiel von der Nord- und Ostseeküste in die süddeutschen Großstädte. Dieser lange Transport erfordert nicht nur mehr Stromleitungen als bisher eingesetzt, sondern auch verlustärmere Kabel. „Dank der neuen Eigenschaften von supraleitenden Betriebsmitteln, zum Beispiel Transformatoren und Leitungen, lassen sich dezentrale Energieerzeuger wie Windund Solaranlagen einfacher in Netze integrieren“, erklärt Noe. Aber auch die alternativen Energieanlagen selbst könnten von den Supraleitern profitieren, meint der Elektroingenieur: „Zum Beispiel könnten Generatoren der Windkraftanlagen deutlich verkleinert und gleichzeitig energieeffizienter werden“.

Neben den Kabeln sind vor allem auch passende Strombegrenzer für den Einsatz eines ‚Supraleiterstromnetzes‘ wichtig: Sie sorgen dafür, dass teure Netzteile bei Kurzschlüssen und kurzzeitigen Überströmen vor irreparablen Schäden geschützt werden – ein immenser Kostenfaktor. „Für die Stabilität von Mittel- und Hochspannungsnetzen bieten supraleitende Strombegrenzer eine Reihe von Vorteilen“, sagt Noe.

Supraleiterkabel und supraleitende Strombegrenzer lassen sich jedoch nicht nur zum Ausbau eines stabileren und günstigeren Netzes einsetzen, sondern auch bei Platzmangel. Ein interessanter Vorteil für Großstädte mit vielen Einwohnern auf kleinem Raum. „In Städten werden Stromkabel zum Problem, da der dafür verfügbare Platz kaum mehr ausreicht für die Anforderungen. Supraleiterkabel eignen sich bei beengten Raumverhältnissen in Innenstädten besonders gut, da sie nicht nur leistungsfähiger als herkömmliche Kupferkabel sind, sondern auch weniger Platz benötigen“, erklärt Supraleiter-Experte Noe.

Die Ruhrgebiet-Großstadt Essen wird Ende 2013 Pionier für solch eine neue innerstädtische Stromversorgung: Dann wird dort das derzeit weltweit längste Hochtemperatur-Supraleiterkabel mit integriertem Strombegrenzer unter die Erde gelegt. Ein modernes 10.000-Volt-Supraleiterkabel soll auf einem Kilometer Länge die herkömmlichen 110.000-Volt-Leitungen zwischen zwei Umspannstationen in der Essener Innenstadt ablösen. Seit Anfang 2012 arbeiten die RWE Deutschland AG, Nexans als Hersteller von Kabeln und Kabelsystemen und das KIT im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderten Projekt „AmpaCity“ an der Realisierung der Supraleitung in der Stadt. „Die Energiewende braucht Innovationen. Durch den Atomausstiegsbeschluss steht die Energiewirtschaft insbesondere in Deutschland vor gewaltigen Herausforderungen. Stromerzeugung, -transport, -verteilung, -speicherung und -verbrauch müssen zum Teil völlig neu gedacht werden. Gerade durch die Knappheit der Zeit werden hier innovative Lösungen benötigt, um die Probleme zu lösen. Das Projekt ‚AmpaCity‘ ist ein wichtiger Baustein für die energieeffiziente Stromübertragung der Zukunft“, sagt Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß in einer Erklärung zum Bauprojekt.

Es könnte der Auftakt zur Umstrukturierung eines innerstädtischen Netzes in ganz neuen Dimensionen sein: Nach erfolgreichem Abschluss eines zweijährigen Feldtests wäre es denkbar, das Rückgrat des Essener Verteilnetzes weitgehend auf 10-kV-Supraleiter umzustellen und von Hochspannungsanlagen zu befreien. Dies würde mittelfristig zu mehr Effizienz sowie niedrigeren Betriebs- und Instandhaltungskosten bei gleichzeitig geringerem Flächenverbrauch führen. In der Innenstadt würden wertvolle Grundstücke frei, denn etliche Umspannstationen könnten rückgebaut werden. Ein positiver Nebeneffekt erdverlegter Supraleiterkabel: Bei Naturkatastrophen halten sie länger stand.

Dass eine platzsparende, bezahlbare und stabile Stromversorgung dringend benötigt wird, zeigt die explosionsartige Urbanisierung der vergangenen Jahrzehnte. Ob Istanbul, Rio oder Bangalore – auf allen Kontinenten, vor allem in Asien und Afrika, werden die Städte größer und größer. 2008 lebten weltweit erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Der immense elektrische Energiebedarf steigt global, Experten prognostizieren eine Verdopplung bis 2050.

Das immer stärker werdende Engagement der Energiebranche zeigt das Potenzial der Supraleitertechnologie, meint Noe: „Die Investitionen, die zum jetzigen Stand in die Technologie fließen, werden sich nachhaltig auszahlen.“

 

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Bilder: KIT

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