Aufbruch ins Ungewisse

Wie Christof Wöll und Hartmut Gliemann an einer neuen molekularen Plattformtechnologie Pionierarbeit leisten.

Was wäre, wenn man die Idee für ein Regalsystem hätte, das besser ist als kommerziell verfügbare Regale? Wie verkauft man ein System, das für alle möglichen Raumgrößen, Lasten und Volumen geeignet ist und über viele Zusatzfunktionen verfügt, aber trotzdem nicht produziert wird, weil die schiere Menge an Möglichkeiten, wie sich das System einsetzen lässt, den Nutzen für unterschiedliche Anwendungen abstrakt erscheinen lässt?

Professor Christof Wöll, Hartmut Gliemann und ihr Team am Institut für funktionelle Grenzflächen am KIT arbeiten an einer Art molekularem Konstruktionsbaukasten, der ein weites Feld an Anwendungen ermöglicht. Jetzt kommt es darauf an, die große Anzahl der Produktideen tatsächlich umzusetzen. Metallorganische Gerüstverbindungen, sogenannte MOFs, sind hochgradig poröse Gitterstrukturen, die zur Gasspeicherung schon jetzt im großen Maßstab gefertigt und in Form von Pulvern kommerziell vertrieben werden. MOFs sind kristalline Materialien, die aus metallischen Knotenpunkten und organischen Verbin-dungselementen hergestellt werden. Sie zeichnen sich durch eine sehr große spezifische Oberfläche aus. MOFs nehmen wie ein Schwamm andere Moleküle auf und werden bislang vor allem bei der Speicherung von Gasen eingesetzt: Wenn das Gas in den Festkörper eintritt, lagert es sich an die Porenwände an und wird dadurch gewissermaßen verflüssigt. Die Dichte nimmt dadurch deutlich zu und im gleichen Volumen lassen sich erheblich mehr Moleküle speichern. Neben diesem konventionellen Einsatz als Gasspeicher werden MOFs momentan auch für eine Reihe wesentlich anspruchsvollerer Produkte getestet. Allerdings sind für viele dieser neuen Einsätze Pulver nicht geeignet und es müssen daher dringend neue Verfahren zur Herstellung von MOFs entwickelt werden. Das interdisziplinäre Forscherteam um den Physiker Christof Wöll arbeitet seit 2009 an MOF-Beschich-tungen und hat es in dieser Zeit geschafft, die völlig neue Klasse der SURMOFs zu entwickeln.

„Innovationen sind reale Produkte für einen sinnvollen Einsatz, in die komplett neue technologische Ansätze geflossen sind. Unsere Aufgabe im Innovationsprozess ist es, Denkanstöße zu geben, um die Ecke zu denken und die technologische Basis dafür zu schaffen.“

Professor Christof Wöll und Hartmut Gliemann

Diese ‚Surface Mounted Metal-Organic Frameworks‘ wachsen schichtweise auf einem festen Substrat. Durch den Lage-für-Lage-Aufbau und die Kombination verschiedener Grundmaterialien für Knotenpunkte und Verbinder in den Gerüsten, lassen sich die Strukturen in weiten Grenzen variieren und so für spezielle Anwendungen maßschneidern. „Wir bauen somit intelligent Speicher auf, in denen Moleküle nicht nur eingelagert sondern auch identifiziert und gegebenenfalls weiterverarbeitet werden können. Die Eigenschaften der SURMOFs können noch weiter verändert werden. Wir haben sozusagen einen nanoskaligen Konstruktionsbaukasten entwickelt, aus dem man praktisch alles bauen kann, was einem vorschwebt“, erklärt Wissenschaftler Hartmut Gliemann.

Nun kommt es, wie beim Baukasten, auf die Phantasie und Vorstellungskraft an, wie aus den Bauelementen SURMOFs mit neuen Eigenschaften hergestellt werden können. Ideen gibt es einige, so Christof Wöll: „Das Anwendungspotenzial metallorganischer Gerüststrukturen lässt sich heute erst vage erahnen. Jetzt gilt es, die Vielfalt der aus der Chemie bekannten Moleküle als Bausteine auszunutzen, um neue Materialien mit neuen Anwendungspotenzialen zu entwickeln, die beispielsweise die organische Elektronik, die Sensorik, die Katalyse, Medizintechnik oder logische Speichermaterialien revolutionieren könnten.“

So könnten SURMOFs dazu dienen, Verbrennungsprozesse zu optimieren, indem sie als wärmestabile, gasselektive Vorfilter für Gassensoren eingesetzt werden. Schadstoffe in Flüssigkeiten und der Luft könnten präziser als bisher detektiert und entfernt werden. Interessante Anwendungen ergeben sich jedoch auch in der Pharmazie und Medizintechnik. „Wir können die Gerüste an ihrer obersten Schicht mit Klappen versehen, die mittels Licht geöffnet und geschlossen werden können“, so Gliemann. Das ermöglicht die gezielte Freisetzung von gespeicherten Molekülen, zum Beispiel von Medikamenten. Beispielsweise ließen sich Wirkstoffe wie Antibiotika gezielt an bestimmten Stellen des Körpers einbringen und dann genau dort freisetzen, wo sie benötigt werden.

Die Forscher arbeiten außerdem daran, die SURMOF-Technologie für medizinische Anwendungen zu optimieren und an die dort herrschenden Bedingungen anzupassen. Künstliche Körperteile, wie zum Beispiel Hüft- und Kniegelenke oder Herzschrittmacher, müssen antimikrobiell beschichtet und mit medizinischen Wirkstoffen imprägniert werden, damit keine Entzündungen entstehen und das Implantat vom menschlichen Körper nicht abgestoßen wird. „Dabei ist es wichtig, dass die Gerüststrukturen ohne toxische Anteile auskommen und sich danach im Körper rückstandslos abbauen. Dafür haben wir die SURMOFs explizit weiterentwickelt“, sagt Professor Wöll.

Die Technologie wird in den Laboren des KIT eingesetzt, das Forscherteam hat ein automatisiertes Produktionsverfahren entwickelt und kann schnell auf individuelle Anforderungen reagieren. Trotzdem stehen die Wissenschaftler vor der Hürde, ihre Ideen an den Markt zu bringen, meint Gliemann: „Wir wissen sehr viel über die Grundlagen der Technologie, aber wir brauchen die Industrie, um daraus eine echte Innovation zu machen. Für reale Problemstellungen lassen sich gezielt SURMOF-Typen entwerfen. Diese Prototypen können dann gemeinsam weiterentwickelt werden, bis sinnvolle Produkte entstehen, die einen echten Neu- und Mehrwert haben“. Die Wissenschaftler sehen ihre SURMOFs als Plattformtechnologie, vergleichbar mit Plastik oder Teflon: „Es wurde nicht die PET-Flasche entwickelt, sondern zunächst nur das Kunststoffmaterial, mit dem dann unzählige Anwendungen und Produkte realisiert wurden. Auf all diese Ideen, was man aus einem neuen Basismaterial alles fertigen kann, sind meist nicht die Erfinder des Materials gekommen, sondern die Industrie mit ihren praktischen Problemstellungen“, so Wöll. Solche Entwicklungen können dauern, die ersten Schritte möchten er und seine Kollegen jedoch innerhalb der nächsten fünf Jahre gehen: „Unser Ziel ist es, Gassensoren und Solarzellen auf Basis von SURMOFs gemeinsam mit einem Partner aus der Wirtschaft bis zur Marktreife zu entwickeln.“

MOFs, SURMOFs und SURGEL

MOFs sind kristalline Materialien aus metallischen Knotenpunkten und organischen Verbindungselementen. Sie haben eine enorm große Oberfläche und sind hochporös. MOFs eignen sich unter anderem für die Speicherung von Gas im Tank von erdgas- oder wasserstoffbetriebenen Automobilen, aber auch für die Speicherung der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan. Weitere Anwendungen liegen in den Bereichen Stofftrennung, Katalyse und Sensorik. Für jede Anwendung lässt sich das passende MOF maßschneidern; meist liegen sie als Pulver vor. In den vergangenen zehn Jahren wurden bereits über 20 000 verschiedene Vertreter dieser Materialklasse genau charakterisiert.

Im Unterschied dazu sind die am KIT erfundenen SURMOFs nicht pulverförmig, sondern dünne, auf Festkörpersubstraten aufgebaute und strukturell perfekte MOF-Schichten. Die Porengröße dieser neuen metallorganischen Gerüstverbindungen beträgt zurzeit schon bis zu drei mal drei Nanometer. Damit bieten die Poren bereits jetzt Platz für kleine Proteine. SURMOFs eröffnen gegenüber den bisher eingesetzten MOFs ganz neue Einsatzgebiete.

SURGEL ist eine Weiterentwicklung der SURMOFs am KIT. Dabei handelt es sich um ein Gel vor allem für den biomedizinischen Einsatz aus mittels Click-Chemie miteinander vernetzten organischen Bausteinen. Gegenüber konventionellen Polymerbeschichtungen zeichnet sich dieses Gel dadurch aus, dass die Porengröße der Schicht sich gezielt an einzubettende bioaktive Substanzen, beispielsweise pharmazeutische Wirkstoffe, anpassen lässt.

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