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BRÜCKENGEFLÜSTER

Wie Steffen Siegel für Sicherheit unter Brücken und anderen seilabgespannten Bauwerken sorgen will.

Die Pfinztalbrücke ist ein Teil der A8 zwischen Karlsruhe und Stuttgart.


Über die Pfinztalbrücke bei Nöttingen donnert der Verkehr der A8 zwischen Karlsruhe und Pforzheim nach Stuttgart – eine gut befahrene Strecke, berüchtigt für ihre Baustellen und Staus. Auf der Brücke ist es laut, noch dröhnender erscheint der Lärm jedoch unterhalb der Fahrbahn, in der Brücke. „Man gewöhnt sich daran“, lacht KIT-Wissenschaftler Steffen Siegel, der hier, im Hohlkasten der Brücke, sein Arbeitsfeld hat. Während Vierzigtonner wenige Meter über seinem Kopf vorbeirauschen, misst er mit wenigen Handgriffen, ob die Drahtseile der Brücke noch intakt sind.

Laut Bundesverkehrsministerium gibt es 39.000 Brücken im Netz der Autobahnen und Bundesstraßen, von denen schätzungsweise 15 Prozent saniert werden müssten. Entweder, weil tatsächlich technische Mängel vorliegen oder weil sie so alt sind, dass sie für heutige Verkehrsbelastungen nicht ausgelegt sind. Viele dieser Brücken sind seilverspannte Brückensysteme, zu denen unter anderen Hängebrücken wie die berühmte Golden Gate Bridge in San Francisco zählt. Häufiger sind die Drahtseile jedoch gar nicht zu sehen – wie auch bei der 2014 eröffneten Pfinztalbrücke, deren Drahtseile innenliegend die Konstruktion zusammenhalten. Diese sogenannten externen Spannglieder führen im Hohlkasten über die gesamte Länge der Brücke, manchmal geradlinig, manchmal in Zickzackform, von einem Ende der Brücke zum anderen.

Die eingesetzten Drahtseile müssen enormen Belastungen standhalten. In Deutschland existieren sieben zugelassene Typen von externen Spanngliedern für seilverspannte Bauwerke, deren geometrische Anordnung sich unterscheidet, die jedoch einige Eigenschaften gemeinsam haben: Sie bestehen aus mehreren dünnen Stahlseilen, die zu einem dickeren Strang verdrillt werden. Viele dieser Stränge bilden ein Spannglied und werden von einem oder zwei Kunststoffmänteln zusammengehalten. Tritt zum Beispiel durch einen Riss im Material Feuchtigkeit in das Seil ein, rosten und reißen immer mehr der dünnen Ausgangsseile.

Heutige Messmethoden lassen die Detektion der Mängel entweder erst ab einem Grad zu, an dem das komplette Seil ausgetauscht werden muss, wenn also die Brücke schon stark sanierungsbedürftig ist. Oder sie sind so zeit- und damit auch kostenintensiv, dass ein regelmäßiger Einsatz dieser Verfahren wirtschaftlich nicht tragbar ist. So kommt es zu den gefürchteten Vollsperrungen auf Autobahnen und Bundesstraßen, denn stark gefährdete Brücken dürfen nicht mehr befahren werden. Dieses Problem kostet Bund und Länder viel Geld.

„Die Bauwerksprüfung an seilverspannten Brücken ist äußerst aufwändig. Alle sechs Jahre findet eine umfassende Hauptprüfung statt, alle ein bis drei Jahre regelmäßige Kontrollen. Bei der Menge an Brücken und dem Druck, den fließenden Verkehr nicht zu beeinträchtigen, können die Prüfer nicht jede Brücke komplett auseinandernehmen. In die Drahtseile können sie nicht einfach hereinschauen“, erklärt Brückenexperte Steffen Siegel vom KIT-Institut für Massivbau und Baustofftechnologie. Er hatte vor einigen Jahren die Idee, die Brückenseile von außen zerstörungsfrei zu messen, ohne aufwändigen Eingriff in die Technik. ResoCable® heißt das von Siegel entwickelte Messsystem, das er nun gemeinsam mit den Firmen ZINS Ziegler-Instruments GmbH und Breinlinger Ingenieure Hoch- und Tiefbau GmbH zur Marktreife weiterentwickelt: „Unser Produkt arbeitet auf Basis einer dynamischen Schwingungsmessung mit Spannkraftermittlung. Das kann man sich vorstellen wie ein ‚virtuelles Stimmen‘ eines Saiteninstruments“, erklärt der Wissenschaftler. Mit einem kleinen Gummihammer bringt er die Drahtseile zum Schwingen. Ein mit Magneten am Drahtseil befestigter Sensor dient als Schwingungsaufnehmer und erfasst die Schwingungen des Seils, mit denen dessen Eigenfrequenzen ermittelt werden.

Mittels einer zum Patent angemeldeten und in einer Software abgebildeten Analyse der Frequenzen an unterschiedlichen Stellen der Brücke und zu unterschiedlichen Zeitpunkten können Drahtbrüche sofort an der Messstelle ausgelesen werden, so Steffen Siegel: „Wir nehmen einen ersten Messwert als Ausgangswert. Wenn wir zum Beispiel nach drei Jahren wieder messen und sich der Wert stark verändert hat, wissen wir, dass das Seil Schaden genommen hat.“ Im Vergleich zu vorher werden Schäden so sehr frühzeitig erkannt und die Sanierung der Brücke kann vorausschauend geplant werden. Die Methode ist schnell und günstig, Prüfer erhalten die aussagekräftigen Ergebnisse direkt vor Ort. Gemeinsam mit der Kooperationsfirma arbeitet Siegel nun daran, eine zentrale Datenbank zur Dokumentation der Ergebnisse aufzubauen.

Diese soll dafür sorgen, dass die mit Barcode gekennzeichneten Messstellen eines Bauwerks weltweit nur einmal vorhanden sind und sich keine Verwechslungen von Bauwerken einschleichen. „Das ist in Deutschland kein Problem, wir haben hier eine klare Benennungsstruktur für Ingenieurbauwerke. Wir müssen aber dafür sorgen, dass das System weltweit eingesetzt werden kann und ein Prüfer sich trotzdem darauf verlassen kann, dass er die Daten des richtigen Bauwerks einpflegt und auswertet“, erklärt Steffen Siegel. Auch wenn die Kooperationspartner momentan an der Optimierung der Technologie arbeiten, funktioniert sie schon jetzt im praktischen Einsatz. So wurde das Messgerät für eine erfolgreiche Prüfung aller Brücken im Raum Stuttgart eingesetzt.

„Wenn ResoCable® flächendeckend eingesetzt würde, ließe sich damit langfristig viel Geld im Verkehrswesen einsparen“, sagt Siegel. Aber nicht nur dort: Die Messmethode eignet sich für alle seilabgespannten Bauwerke. Dazu zählen auch Windräder und Sportstadien, wie zum Beispiel das RheinEnergie-Stadion Köln, auf dessen seilverspannten Dach Steffen Siegel schon gemessen hat. Gerade für die Hauptuntersuchungen in großen Windparks wäre der Einsatz eines schnellen Verfahrens wie ResoCable® interessant. Die Messung der Pfinztalbrücke war jedenfalls erfolgreich – sie ist wie zu erwarten noch völlig intakt, erkennt Steffen Siegel: „Wir sind gespannt, wann wir die ersten Schäden detektieren werden“.

„Wir haben ein funktionierendes Produkt, das einen echten Mehrwert bei der Wartung großer Bauwerke schafft. Jetzt geht es darum, auch auf politischer Ebene zu überzeugen, dass der standardmäßige Einsatz Sinn macht. Es wäre einfach schade, wenn diese Technologie wieder in der Schublade verschwindet.“

Steffen Siegel

 

 

Bilder: KIT

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