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DIE FORMENKUNST

Wie die Mikrowellentechnik den 3D-Druck reformiert und mit multidimensionalen Druckpfaden neue Einsatzbereiche für endlosfaserverstärkte Kunststoffe eröffnet.

Druckprobe eines freistehenden 3D-Gitters, das mit neuem Mikrowellendrucker gedruckt wurde


Der Pinselschwung eines Künstlers ist so individuell wie seine Werke. Jedes ist ein Unikat und nach individuellen Vorstellungen gefertigt. Im übertragenen Sinn gehört Dr. Nanya Li vom Institut für Hochleistungsimpuls- und Mikrowellentechnik (IHM) des KIT zur Meisterklasse der 3D-Druck-Kunst. Er verleiht der additiven Fertigung, besser bekannt als 3D-Druck, die Flexibilität und Formfreiheit, mit der ein Maler seinen Pinsel manövriert. Dr. Li und sein Team von der Arbeitsgruppe Materialprozesstechnik mit Mikrowellen haben ein Drucksystem für faserverstärkte thermoplastische Kunststoffe entwickelt, mit dem hochkomplexe Formen und individuelle Geometrien in Höchstgeschwindigkeit gedruckt werden können. Solche anspruchsvollen Faserverbundbauteile werden typischerweise im Leichtbau für Automobil, Luftfahrt und Medizintechnik eingesetzt: von der Leichtbaukarosserie für Flugzeuge über die maßgeschneiderte Fahrzeugausstattung bis hin zu Hochleistungssportgeräten, Gehhilfen oder Prothesen. „Objektkunst“ für den industriellen Einsatz, die mit dem neuen Verfahren vom KIT noch besser erschlossen werden könnte. Li erzählt: „Unser Druckverfahren SERPENS, das mit elektromagnetischen Wellen arbeitet, haben wir zum Patent in Europa angemeldet. Aktuell liegt ein Prototyp des 3D-Mikrowellendruckers samt Pfadplanungs-und Steuerungssystem in der dritten Generation vor, mit dem wir weiter experimentieren.“

SERPENS ist die Kurzform für ‚Super Efficient and Rapid Printing by Electromagnetic-heating Necessitated System‘, wie die Forschenden ihr Verfahren getauft haben. Der geschwungene Pinsel ist in dem Fall ein neuartiger Mikrowellendruckkopf, der in Verbindung mit einem Roboterarm frei im dreidimensionalen Raum bewegt und rotiert werden kann. Diese Bewegungsfreiheit ist erst durch die Kombination aus neuartigem Druckprinzip unter Einsatz der Mikrowellenstrahlung und den am IHM entwickelten Möglichkeiten zur Steuerung des Drucksystems möglich.

 

Lagenlose Freiheit

Der konventionelle 3D-Druck, bei dem Bauteile und Komponenten Lage für Lage aus technischen Kunststoffen aufgebaut werden, hat in der industriellen Fertigung bereits Einzug gehalten. Dr. Guido Link, der als Leiter der Arbeitsgruppe „Materialprozesstechnik mit Mikrowellen“ die Arbeiten fachlich betreut, berichtet: „Besonders Prototypen und Vorserien werden heute schon aus dem Drucker produziert. Dabei werden Kunststofffilamente erhitzt, der Druckkopf bewegt sich innerhalb von drei Achsen über eine Druckplatte und trägt den erhitzten, verflüssigten Kunststoff schichtweise auf – bis das Druckobjekt zur letzten Lage geschichtet ist.“ Die neue Technologie vom KIT bricht mit diesen Konventionen und verwendet Filamente aus Kunststoff, die mit endlosen Carbonfasern verstärkt sind. Diese Verstärkung erlaubt es, den Druckkopf während des Druckens in jede beliebige Position im Raum zu schwenken, während das Druckmaterial in jede erdenkliche Richtung aus der Druckdüse ausgebracht werden kann. Zum Beispiel können komplexe Bauteile mit Unterschneidungen oder Hohlräumen gefertigt werden. Dass das verflüssigte Material direkt und sogar ohne festen Untergrund erstarrt, liegt in der Mikrowellentechnik begründet.

 

Schematische Darstellung der Druckdüse zur Herstellung von Endlosfaserverstärkten Thermoplasten
Endlosfaserverstärkte Thermoplaste (CFRTP) werden mithilfe elektromagnetischer Wellen gleichmäßig geschmolzen und mit der Druckdüse frei geformt

Kunststoffschmelzen mit Mikrowellenstrahlung

Im Unterschied zu herkömmlichen 3D Druckern wird das Druckmaterial bei SERPENS nicht mit konventionellen Methoden, über den Kontakt zu einem Heizelement, erwärmt. Stattdessen werden die speziellen fadenförmigen Kunststofffilamente mit integrierten Endlosfasern aus Kohlenstoff (Carbon) mithilfe elektromagnetischer Wellen aufgeschmolzen, während sie den Druckkopf passieren. Dafür hat das Forschungsteam einen resonanten Mikrowellenapplikator als Druckkopf erfunden, der Filamente mit ganz unterschiedlichen Durchmessern sehr schnell und gleichmäßig verflüssigt. Beim Austritt aus der Druckdüse erkaltet die Masse und wird durch die Faserverstärkung unmittelbar formstabil. Damit macht es das Verfahren erstmals möglich, sogar freistehende Gitterstrukturen herzustellen. Dadurch werden bisherige verfahrensbedingte Limitierungen für die Planung und Konstruktion von Faserverbundbauteilen aufgeweicht. Ganz neue Formen sind herstellbar. Die Mikrowellentechnik bringt nicht nur Vorteile bei der Konstruktion am Computer (CAD), sondern stellt gleichzeitig eine energie- und kosteneffiziente Alternative zum thermischen Aufschmelzen dar.

Wie für die Mikrowelle typisch, generieren die elektromagnetischen Wellen eine sehr homogene Temperaturverteilung, so dass sich der Kunststoffanteil gleichmäßig und schnell erhitzt. Dadurch können selbst große Filamentdurchmesser bis 5 Millimeter bei hohen Druckgeschwindigkeiten von bis zu 100 Millimeter pro Sekunde verflüssigt und gedruckt werden. Dieses Plus an Druckmaterial in einem Guss wirkt sich wiederum positiv auf die Statik der Druckobjekte aus: Die mechanische Belastbarkeit der Faserverbundbauteile kann durch eine zweckoptimierte innere Stützstruktur (Infi ll) gesteigert werden. Die Mikrowellentechnik bietet enormes Potenzial für die Weiterentwicklung des 3D-Drucks. Starke und leichte Verbundwerkstoffkomponenten sind schnell und ohne hohen manuellen Fertigungsaufwand herstellbar. Die Formfreiheit von SERPENS eröffnet zudem ganz neue Anwendungen, die bis dato noch nicht von den Vorteilen der additiven Fertigung profitieren.

 

Druckmaterial passend zum System

Die Verarbeitung von Kunststoff und Carbonfasern in einem einzigen Filament ist eine weitere Besonderheit des SERPENS-Verfahrens. „Der Mikrowellendrucker benötigt vorkonfektionierte Filamente, bei denen das Polymer die Endlosfasern aus Kohlenstoff umschließt. Die Fasern im Filamentkern dienen nicht nur der Stabilität gedruckter Komponenten, sondern unterstützen auch das Aufschmelzen des Filaments als Innenleiter im Mikrowellendruckkopf“, erklärt der Erfinder Li. Um im Labor mit dem Prototyp drucken zu können, hat die Arbeitsgruppe vom IHM eine eigene Produktionslinie für ihre Filamente entwickelt. Hiermit können maßgefertigte Filamente mit passgenauen Eigenschaften hergestellt werden.

 

Dr. Nanya Li arbeitet am Mikrowellendrucker.
Die dritte Generation des Mikrowellendruckers setzt für noch mehr Flexibilität auf Robotik

Kleinserienfertigung nach Maß

Im Rapid Prototyping und in der Einzelanfertigung weiß die Industrie die Vorzüge der additiven Fertigung bereits zu schätzen: Bei Faserverbundkomponenten aus dem Drucker können Hersteller individuelle Wünsche der Kundschaft berücksichtigen und relativ einfach und schnell auf Anpassungen reagieren. Im Vergleich zu anderen Verfahren wie dem Formguss kann beim Drucken vollständig auf die kostenintensive Werkzeug- bzw. Formerstellung verzichtet werden. Das neue Verfahren vom KIT übertrifft die herkömmlichen Kunststoffdrucktechniken in Zeitaufwand und Formfreiheit nochmal deutlich und macht dadurch die industrielle Fertigung mittels 3D-Druck noch breiter einsetzbar – bis hin zu ‚Mass Customization‘. Dabei hat ein Kunde die Möglichkeit, bestimmte Merkmale eines Produkts zu personalisieren und gleichzeitig die Kosten auf dem oder nahe dem Niveau der Massenproduktion zu halten.

Der Geschwindigkeitsgewinn von SERPENS erlaubt die wirtschaftliche Bearbeitung von Kleinserien sowie kundenspezifischen Spezialanfertigungen in Serie. Von der Losgröße eins bis zur Massenproduktion eröffnet SERPENS neue Möglichkeiten, die die Forschenden vom KIT mit dem passenden Industriepartner in die Produktionsrealität überführen möchten. Dr. Li betont: „Unser System ermöglicht es, den Trend zur Individualisierung mit der wirtschaftlichen additiven Serienfertigung von Faserverbundbauteilen mit Endlosfasern zu vereinen. Wenn wir mit Unterstützung der Industrie einen kommerziellen Drucker erschaffen können, machen wir faserverstärkte Kunststoffe für weitere Branchen zugänglich und einfach nutzbar.“

 

 

Weiterführende Links

 

Bilder: Riccardo Prevete · Institut für Hochleistungsimpuls- und Mikrowellentechnik / KIT · Markus Breig / KIT

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