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ERDBEBEN-AIRBAG FÜR DAS MAUERWERK

Wie Lothar Stempniewski und Moritz Urban Menschenleben in Erdbebengebieten retten wollen.



Zwischen 20.000 und 30.000 Mal bebt jedes Jahr die Erde weltweit. Oft mit katastrophalen Folgen: Erdbeben rangieren in Statistiken weit oben bei den verheerendsten Naturkatastrophen. Instabile Gebäude sind eine der größten Gefahrenquellen in Erdbebengebieten.

Ingenieure arbeiten seit Jahrzehnten an der Entwicklung von erdbebensicheren Gebäuden – meist kostspielige Technologien, die nur für die großen Bauprojekte in den Megastädten der Welt geeignet sind. „Was bisher fehlt, ist eine Lösung für die Masse, für diejenigen Menschen in Erdbebengebieten, die nicht reich sind und ihr Heim trotzdem schützen möchten“, sagt Lothar Stempniewski. Der Bauingenieur ist seit zwölf Jahren Professor am KIT und hat mit Ideenreichtum, Erfindergeist und Geduld eine Technologie entwickelt, die Wände unter extremen Belastungen zusammenhält: Eine Kombination aus einem High-Tech-Kleber und einem Glasfasergewebe, die fast so einfach an die Wand gebracht werdenkann wie Tapete und Kleister aus dem Baumarkt.

Die anfangs belächelte Idee ist nun seit Kurzem als Komplettpaket auf dem Markt. „Das Gewebe kann vom Malermeister angebracht und direkt überstrichen oder überputzt werden“, erklärt Stempniewski. Ein großer Vorteil gegenüber Maßnahmen, die bisher zur Gebäudesicherung getroffen wurden, denn so läuft die Wandstabilisierung ab wie eine einfache Renovierung: Alte Tapete ab, den neuen Kleber mit dem Zahnspachtel aufbringen, das Gewebe applizieren, trocknen lassen, überstreichen oder dünn überputzen. Der einzige Unterschied: die Gewebebahnen müssen sich jeweils überlappen, um bei hoher Zugbelastung die entstehenden Kräfte besser aufnehmen und großflächig verteilen zu können.

„Die Kombination aus hoch belastbarem Glasfasergewebe und dem speziellen elastischen Klebstoff aus Polyurethan hält extremen Belastungen stand“, sagt Moritz Urban, der seit 2008 im Projekt mitarbeitet. Wie ein Tesafilm zwei Blatt Papier sicher zusammenklebt, verbindet auch der neue Wandbelag die Steine und den Mörtel sicher miteinander, wo normalerweise Risse entstehen würden. Bisherige Versuche, den Einsturz von Mauerteilen zu verhindern, scheiterten am Kleber: die eingesetzten Materialien waren zu steif, brachen bei Belastung durch und hielten die Befestigungselemente nicht an der Wand.

In einem gemeinsamen Projekt mit der Bayer MaterialScience wurde ein neuer Klebstoff entwickelt, der das Gewebe zwar fest an der Wand hält, bei Bewegungen jedoch extrem flexibel reagiert und den Materialverbund zusammenhält. Lange genug, um Menschen den nötigen Vorsprung zu geben: „Wir können mit diesem ‚Erdbeben-Airbag‘ Zeit gewinnen, damit Bewohner ins Freie flüchten können oder sogar dafür sorgen, dass Wände stehen bleiben und das Gebäude nicht vollständig kollabiert“, so Professor Stempniewski.

Italien ist als eines der am meisten erdbebengefährdeten Gebiete in Europa das erste Land, in dem Handwerksbetriebe das Sicherheitsset bereits einsetzen. Zukünftig könnte Lothar Stempniewskis Idee von einst bei Katastrophen auf der ganzen Welt Leben retten – die mit seiner Technologie versehenen Wände halten auch Sturm und Explosionen stand.

„Für mich als Ingenieur steht der Mensch im Mittelpunkt meiner Arbeit. Wenn wir mit unserer Erfindung die Opferzahlen von Naturkatastrophen senken können, haben wir unser Ziel erreicht.“

Professor Lothar Stempniewski

 

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Bilder: KIT

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