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ROSIGE AUSSICHT FÜR DIE ENERGIEWENDE

Wie sich das Gründungsteam von Phytonics die Eigenschaften eines Rosenblattes zunutze macht und damit den Photovoltaik-Markt revolutionieren will.

Solarmodul mit antireflektierende Beschichtung von Phytonics.


Das Tech-Spin-off Phytonics des KIT hat eine Vision: Die Energiewende durch einen Technologiesprung in der Photovoltaik zu beschleunigen. „Wenn wir es überspitzt formulieren, können wir die europäischen Klimaziele nur erreichen, wenn sich Gesetzgebungen nicht selbst im Weg stehen. Aktuell haben wir auf der einen Seite eine Solarpflicht für gewerbliche Standorte und Neubauten, die ihren Strombedarf zukünftig über eigene Photovoltaik-Anlagen decken sollen. Auf der anderen Seite bestehen Regularien zum Blendverhalten von Solarzellen, die dazu führen, dass solche Anlagen nicht überall angebracht werden dürfen“, erklärt Dr. Ruben Hünig, Mitgründer und CEO von Phytonics.

 

Dr. Ruben Hünig steht vor Solarmodulen.
Dr. Ruben Hünig, Mitgründer und CEO von Phytonics

Von der Realität geblendet

Damit diese Gesetzgebungen nicht weiter im Konflikt stehen, bedarf es neuer Ideen. Photovoltaik-Anlagen erzielen heutzutage zwar schon beachtliche Energieerträge, sind bis dato aber nicht blendfrei. „Solarmodule dürfen nicht mehr als 20.000 Candela pro Quadratmeter (cd/m²) Helligkeit abstrahlen. Wenn man sich überlegt, dass die Sonne mit einer Helligkeit von 1,6 Milliarden cd/m² scheint, von der ein ein- bis zweistelliger Prozentbereich an den Solarmodulen reflektiert wird, wird klar, welche technologische Herausforderung in der Entspiegelung der Module liegt. Herkömmliche Solargläser schaffen diese Entspiegelung einfach nicht“, erläutert Hünig die Handlungsnotwendigkeit. Das Team von Phytonics hat für dieses Problem eine Lösung gefunden: Eine antireflektierende Beschichtung für Photovoltaikmodule. „Das Anwendungsprinzip ist ähnlich wie bei einer Handyschutzfolie für Displays. Unsere folienartige Beschichtung ist ein Add-on für Solarmodule und wird auf die Oberfläche laminiert. Damit ist die Antireflexfolie unabhängig von der darunterliegenden Technologie und mit allen Solarmodul-Typen kompatibel. Vor allem aber ist das beschichtete Modul so absolut blendfrei“, beschreibt Hünig die Innovation. Die Technologie ermöglicht den Einsatz von Photovoltaik überall dort, wo bislang aus Gründen der Blendwirkung keine aufgestellt werden durften, beispielsweise um Flughäfen, in Autobahnnähe oder auf zahlreichen Hausdächern mit suboptimaler Ausrichtung der Module zum Nachbarn.

 

Wohngebäude mit angebrachten Solarmodulen.
Die von Phytonics entwickelte Beschichtung macht Solarmodule absolut blendfrei. (Bild: Markus Ursprung, www.synergieplus.ch)

Von der Natur inspiriert

Hinter dieser vermeintlich simplen Folie stecken über acht Jahre Forschung und eine komplexe Lösung. Hünig erklärt: „Wir haben uns die Natur zum Vorbild genommen, denn Pflanzen sind wahre Meister im Lichtmanagement. Damit Blüten bestäubt werden, müssen sie einen sehr kräftigen Farbeindruck erzeugen, der aus allen Richtungen für das Insekt gleich aussieht. Das gelingt nur, wenn an der Grenzfläche zur Luft keine Reflexion stattfindet, da der Farbeindruck andernfalls von weißem Umgebungslicht überlagert würde. Daher haben die meisten Blütenblätter eine spezielle Kombination aus Mikro- und Nanostrukturen an der Blattoberfläche, die Licht aller Wellenlängen und aus allen Einfallsrichtungen annähernd vollständig in das Blütenblatt einkoppeln kann.“ Um diese einzigartige Struktur auf Solarzellen zu übertragen, hat das Gründungsteam mittels Galvanik einen metallischen Abzug von aneinandergereihten Rosenblütenblättern gemacht, um deren Mikro-und Nanostruktur in Metall zu übertragen.

 

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Von Rolle zu Rolle

„Damit haben wir ein Formwerkzeug erschaffen, das sich anschließend viele Male für das statische Heißprägen von Polymerfolien verwenden lässt. Das Werkzeug eignet sich für die Entwicklung im Labor sehr gut, im industriellen Maßstab ist es aber nicht effizient genug. Wir haben daher viel Zeit und Entwicklungsaufwand für das Hochskalieren des Verfahrens auf die Fläche eines Solarmoduls aufgewendet“, beschreibt Hünig die Entwicklungsschritte der letzten Jahre. Eine weitere Herausforderung bestand für das Team anschließend im Auswählen eines geeigneten Herstellungsverfahrens. „Wir haben einen Projektpartner gefunden, der sich auf das Prägen von Nanostrukturen spezialisiert hat und mit dem wir den Prozess auf ein günstiges Rolle-zu-Rolle-Verfahren übertragen konnten“, so Hünig. Das Rolle-zu-Rolle-Verfahren ist ein Prägevorgang, bei dem die vorher ausgewählte Polymerfolie in die Anlage eingespannt, durch zwei Prägewalzen geführt und unter Druck bei hohen Temperaturen die Struktur in die Folie fortlaufend eingeprägt wird. Vereinfacht gesagt: Die Folie läuft von einer Rolle auf die andere und erhält unterwegs ihre einzigartige, blendfreie Oberfläche. 

 

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Blütezeit

Die antireflektierende Eigenschaft der Folie hat Phytonics sowohl mit Messungen am eigenen Teststand nachweisen können, als auch über die Auswertung einer offiziellen Blendungsvermessung. „Die Ergebnisse haben bestätigt, dass wir sämtliche Grenzwerte einhalten und wir damit praktisch unbegrenzte Einsatzmöglichkeiten für blendfreie Photovoltaik-Anlagen der Zukunft ermöglichen“, so Hünig. Neben der absoluten Blendfreiheit sowie der Unabhängigkeit von der darunterliegenden Photovoltaik-Technologie bringt die Folie einen weiteren entscheidenden Vorteil mit sich. „Wir erreichen an unserem Teststand am KIT unter Einsatz unserer Antireflexfolie außerdem einen relativen Mehrertrag von etwa fünf bis zehn Prozent, je nach Ausrichtung und Einfallswinkel, im Vergleich zum Testdurchlauf mit derselben darunterliegenden Technologie ohne die Beschichtung. Damit erzielen wir einen doppelt so hohen Mehrertrag als am Markt erhältliche Entspiegelungstechnologien. Diese erreichen nicht nur weniger Ertrag, sie entspiegeln eine Solarzelle zudem nicht vollständig“, beschreibt Hünig die Vorteile der Phytonics-Technologie.

 

Gruppenfoto von Phytonics.
Erfolgreich gegründet: Das Team von Phytonics ist neben den fünf Gründern inzwischen auf die doppelte Anzahl an Mitarbeitenden gewachsen.

Rosige Zukunft

Langfristig möchte Phytonics die Entspiegelungstechnologie in die Produktionsprozesse von Photovoltaik-Herstellern integrieren. „Das Interesse in der Industrie ist groß. Mit ein paar herstellenden Unternehmen kooperieren wir bereits enger. Sie testen die Folie derzeit auf ihre Langzeitstabilität in beschleunigten Alterungsverfahren. In 2023 sollten diese Tests abgeschlossen werden. Parallel dazu planen wir mit den produzierenden Unternehmen die Aufbringung der Folie und die Integration in die bestehende Prozessstruktur“, so Hünig zum weiteren Vorgehen. Dass die Technologie nicht nur für herstellende Unternehmen, sondern auch für Endkunden von Bedeutung ist, zeichnet sich durch umfangreiches Feedback ab: „Wir haben eine lange Warteliste an Interessenten, die die Folie auf ihre bestehende Solaranlage integrieren möchten, darunter viele Privatpersonen mit Aufdachanlagen. Auch, weil es immer häufiger zu Rechtsstreitigkeiten unter Nachbarn aufgrund der Blendung von Photovoltaik-Anlagen kommt“, erklärt Hünig.

Bis 2030 möchte Phytonics zehn Prozent des Weltmarktes mit der antireflektierenden Folie ausstatten. Das ist ambitioniert, aber nicht unrealistisch, denn mit ihrer Technologie ermöglichen sie, was bisher keiner schafft: Sie überwinden die gesetzlichen Hürden der Photovoltaik mit einer simplen Lösung.

 

 

 

Bilder: Amadeus Bramsiepe / KIT

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