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SCHNELLERE ENTWICKLUNG EFFEKTIVER MEDIKAMENTE

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Arbeitsgruppe von Prof. Pavel Levkin am Institut für Biologische und Chemische Systeme – Funktionelle Molekulare Systeme haben eine Plattform zur Wirkstoffentwicklung erstellt, welche die Synthese zahlreicher Verbindungen, deren Charakterisierung und Screening auf einer Oberfläche ermöglicht.

Dr. Maximilian Benza arbeitet im Labor.


Die Covid-19-Pandemie hat großen Teilen der Gesellschaft vor Augen geführt, was Menschen mit seltenen Krankheiten schon längst wissen: Die Versorgung der Weltbevölkerung mit zielgenauen Medikamenten und die schnelle Entwicklung neuer Wirkstoffe stellt die pharmazeutische Industrie vor große Herausforderungen.

Eine sich rasant entwickelnde neue Krankheit hat oft tiefgreifende gesellschaftliche Folgen. Der Bedarf an Methoden, um sichere und effiziente Wirkstoffe in einem gesetzten Zeitrahmen unter annehmbaren Kosten zu entwickeln und an die Patienten zu bringen, ist enorm. Nicht selten dauert die Entwicklung eines einzigen Medikaments bis zu 20 Jahre und kostet mehrere Milliarden Euro, bevor es zugelassen wird. Daraus ergibt sich: Je weniger Menschen das Medikament benötigen, umso weniger können Pharmakonzerne ihre Entwicklungskosten über den Massenmarkt abdecken. Aus der Sicht der Patienten: Je geringer die Entwicklungskosten, desto wahrscheinlicher, dass ich für meine seltene Krankheit das passende Medikament erhalte.

Genesung – das ist die Motivation für Dr. Maximilian Benz. Das Hauptforschungsthema im Rahmen seiner Promotion am KIT: chemBIOS, eine erfolgversprechende on-Chip-Plattform, die eine rasche Medikamentenentwicklung ermöglichen soll. Der Schwerpunkt der Forschung von Dr. Benz ist die miniaturisierte und parallelisierte Entwicklung von Wirkstoffen in der frühen Phase der Medikamentenentwicklung. Bisher sind die chemische Synthese der Wirkstoffe und das Screening auf biologische Wirksamkeit aufgrund unterschiedlicher Grundbedingungen nicht miteinander kompatibel und laufen in voneinander getrennten, sich wiederholenden Schritten ab. Dies soll mithilfe der chemBIOS-Plattform verbessert und vor allem beschleunigt werden, indem der chemische mit dem biologischen Teil verknüpft und auf einer gemeinsamen Oberfläche platziert wird.

„Was unsere Forschung gegenüber anderen einzigartig macht, ist die miniaturisierte und parallelisierte chemische Synthese in Flüssigphase. Was bis heute gut entwickelt ist, ist die Festphasensynthese“, so Dr. Benz. Bei der Festphasensynthese sind die Verbindungen fest an die Oberfläche verankert, wodurch sie im weiteren Verlauf modifiziert und verändert werden können. Dadurch können wichtige Biomoleküle, wie DNA, Peptide oder auch Zucker, hergestellt werden. Daneben gibt es aber noch weitaus mehr Klassen von biologisch aktiven Substanzen, für deren Herstellung die Festphasensynthese ungeeignet ist. „Mit der chemBIOS-Plattform können wir diese Verbindungen in flüssiger Phase herstellen. Hier steht uns eine sehr große Bandbreite an Methoden der organischen Chemie zur Verfügung. Wir können eine große Vielfalt chemischer Verbindungen herstellen und auch direkt biologisch untersuchen. Dieser Vorteil gegenüber anderen Chip-Entwicklungen ist ein Alleinstellungsmerkmal mit großem Potenzial“, berichtet Dr. Benz stolz.

Die chemBIOS-Plattform ist ein Glasobjektträger, dessen Oberfläche chemisch modifiziert wird, um auf ihm tausende Nanotröpfchen zu platzieren. Jedes einzelne Tröpfchen funktioniert wie ein sehr kleines Gefäß, in dem chemische Reaktionen oder auch biologische Untersuchungen durchgeführt werden können. Das Funktionsprinzip des Chips entspricht dem herkömmlichen Vorgehen, nur in hochminiaturisierter und parallelisierter Form. Im ersten Schritt werden chemische Substanzen als Tröpfchen auf den Chip gedruckt, um dort miteinander zu neuen Verbindungen zu reagieren. Anschließend können die Verbindungen direkt auf dem Chip, beispielsweise durch Massenspektrometrie oder verschiedene Spektroskopiearten, analysiert werden. Auch Zell-Experimente sind möglich, um die biologische Aktivität zu prüfen und zu bestimmen, welche der Verbindungen für die weitere Medikamentenentwicklung in Frage kommen.

In einer ersten Proof-of-Principle-Studie der Plattform von Dr. Benz und der Arbeitsgruppe, die im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht wurde, konnten 75 Verbindungen gleichzeitig in nur drei Tagen hergestellt, analysiert und biologisch getestet werden, wobei insgesamt nur ein Milliliter an Reagenzien und Lösungen benötigt wurden. Klassischerweise fallen hierfür mehrere Liter an Lösungen an und der gesamte Prozess streckt sich über einen Zeitraum von mehreren Wochen. „Das Potenzial ist noch deutlich größer. In weiteren Tests habe ich eine solche Oberfläche mit wesentlich kleineren Spots und Tröpfchen generiert“ erläutert Dr. Benz. Das Verfahren erhöht also nicht nur den Durchsatz und erspart viel Zeit und Aufwand, sondern reduziert auch die Menge an genutzten Chemikalien, Zellen und anderen Verbrauchsmaterialien. Die gesamte Phase der frühen Medikamentenentwicklung wird mit Hilfe der chemBIOS-Plattform rasant beschleunigt und effizienter gestaltet. Ein Lichtblick für Menschen mit seltenen oder neuen Krankheiten, die nicht ausreichend erforscht sind und zu denen bisher kein geeignetes Medikament existiert.

Die Plattform wird von Aquarray, einem Spin-off des KIT, kommerzialisiert und durch das Horizon 2020 Förderprogramm für Forschung und Innovation der Europäischen Union unterstützt. „Wir arbeiten bereits mit der Industrie zusammen und suchen weitere Kooperationspartner für die Weiterentwicklung der Plattform. Wir sind sehr dankbar über die Rückmeldungen aus der Industrie. So erfahren wir, welche Änderungen noch vorgenommen werden müssen, damit unsere Technologie in der breiten Masse eingesetzt werden kann“, erzählt Dr. Benz mit Blick auf die Zukunft.

 

„Meine persönliche Motivation ist es, kranken Menschen zu helfen. Ich möchte den Prozess der Medikamentenentwicklung schneller und vor allem kostengünstiger gestalten. Geld sollte nicht der entscheidende Faktor sein, ob ein Medikament entwickelt wird. Der Patient muss im Vordergrund stehen.“

Dr. Maximilian Benz

 

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Bilder: Magali Hauser / KIT

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