Forschende des KIT und der Hochschule Arts et Métiers Paris-Tech kombinieren drei zukunftsweisende Technologien – digitale Zwillinge, erweiterte Realität und künstliche Intelligenz – um Fertigungsprozesse neu zu denken.
Die Zahl drei begegnet uns bewusst oder unbewusst in zahlreichen Situationen: Sei es beim Rechnen mit dem Dreisatz, beim dreidimensionalen Sehen des Menschen oder mit dem Dreiklang in der Musik. Der Zahl drei wird in vielen Kulturen und Lebenssituationen eine besondere Bedeutung beigemessen, da sie oft harmonische Dinge beschreibt und eine Form der Vollkommenheit symbolisiert. Nicht umsonst hören wir nach zwei misslungenen Versuchen oft die Redewendung „Aller guten Dinge sind drei“. Doch was hat das mit dem KIT zu tun? Im Forschungsprojekt XIRCON kommt der Zahl drei ebenfalls eine besondere Bedeutung zu. Forschende machen sich die Kombination von drei wegweisenden Zukunftstechnologien zunutze, um Fertigungsprozesse in der Industrie zu vereinfachen und ihre Rekonfigurationszeit um bis zu 58 Prozent zu verringern.
Das Problem der ständigen Weiterentwicklung
Individuelle Kundenwunsche oder sich ändernde Produktvarianten fuhren zu verkürzten Produktlebenszyklen, was wiederum zu sich häufig wechselnden Anforderungen in der Fertigung fuhrt. Die schnelle Anpassung von Fertigungssystemen an mechanische, elektrische oder softwaretechnische Änderungen ohne Produktivitätseinbußen wird zunehmend zu einem wichtigen Erfolgsfaktor in der Industrie. Diese sogenannten Rekonfigurationsprozesse werden momentan größtenteils von Fachpersonal individuell und ohne methodische Unterstützung umgesetzt, was oft zeitaufwendig und fehleranfällig ist.
Innovatives Technologie-Trio
Forschende des KIT und der französischen Hochschule Arts et Metiers haben es sich zur Aufgabe gemacht, ein menschzentriertes kognitives Unterstützungssystem zu implementieren, um Rekonfigurationsprozesse zu optimieren, Produktionslandschaften schneller an die wechselhaften Anforderungen anzupassen und Ausfallzeiten zu minimieren. Sie kombinieren dazu digitale Zwillinge (DT) mit erweiterter Realität (XR) und künstlicher Intelligenz (KI). „Diese Technologien sind in der Fertigung heute zwar schon bekannt, in Kombination miteinander werden sie aber nicht genutzt. Wir möchten durch die Kombination die Vorteile aller Technologien ausspielen und damit eine ganzheitliche Lösung schaffen“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Jivka Ovtcharova vom Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI). Digitale Zwillinge können in Kombination mit XR-Technologien von Menschen intuitiver genutzt werden, weil sie digitale Informationen leichter zugänglich visualisieren und eine Interaktion mit ihnen erlauben. Das XIRCON-System ermöglicht somit eine schnellere Analyse des aktuellen Fertigungszustands, eine Echtzeit-Simulation während der Rekonfigurationsplanung sowie eine Vorschau auf die Rekonfigurationsmöglichkeiten und deren methodische Validierung. Ergänzt wird das Duo durch KI, die individualisierte Rekonfigurationen ermöglicht und deren Validierung hinsichtlich Machbarkeit, Schlüsselkennzahlen, Fehlervermeidung und Fertigungsoptimierung unterstützt.
ERWEITERTE REALITÄT
Der Begriff erweiterte Realität (engl. Extended Reality) ist ein Sammelbegriff für die immersiven Technologien Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und Mixed Reality (MR), die alle die reale Welt durch virtuelle Elemente ergänzen. Dies können beispielsweise AR-Filter, 360-Grad- Videos oder VR-Geräte sein. Mithilfe dieser Elemente werden digitale Inhalte so erlebbar gemacht, als seien sie ein Teil der realen Welt. Die drei Formen unterscheiden sich in ihrer Ausprägung, in der die reale und die virtuelle Welt interagieren.
DIGITALE ZWILLINGE
Digitale Zwillinge bezeichnen Repräsentationen materieller oder immaterieller Objekte der realen Welt im digitalen Raum. Bei ihrer Erstellung werden ermittelte Echtzeitdaten mithilfe von künstlicher Intelligenz und Softwareanalysen verarbeitet. Sie können beispielsweise die Repräsentation einer in Betrieb befindlichen Anlage oder einer Anlagenkomponente inklusive des aktuellen Zustands sowie relevanter betriebshistorischer Daten sein. Die Übermittlung sämtlicher Anlagendaten erfolgt mittels physikalischer und statistischer Ansätze direkt an Algorithmen und trägt somit beispielsweise dazu bei, den Anlagenbetrieb zu optimieren, zukünftiges Verhalten vorherzusagen oder die Produktionseffizienz zu steigern.
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
Die künstliche Intelligenz ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Entwicklung von Systemen befasst, die menschliche Intelligenz nachahmen können. Sie umfasst alle Anstrengungen, menschliches Lernen und Denken auf technische Systeme zu übertragen und sie damit intelligent zu machen. Ziel ist es, dass intelligente Systeme ihre Umwelt eigenständig wahrnehmen, mit dem Wahrgenommenen interagieren, Antworten auf Probleme finden und diese eigenständig lösen.
Starke Forschungspartner und reale Szenarien
Im Projekt, das vom InnovationsCampus Mobilität der Zukunft (ICM) gefördert wird, entwickeln und evaluieren die Kooperationspartner des Deutsch-Französischen Instituts für die Industrie der Zukunft die für das System erforderlichen DT-, XR- und KI-Module, indem sie unterschiedliche Kompetenzen zusammenführen. „Wir waren von Anfang an daran interessiert, etwas für die Praxis zu entwickeln. Mit dem wbk haben wir eine voll funktionsfähige Forschungsfabrik und somit eine realitatsnahe Infrastruktur, in der wir die Entwicklungen direkt in der Praxis ausprobieren können. Auf diese Weise wissen wir, was sinnvoll ist und was in der Industrie tatsachlich benötigt wird. Andererseits bringen wir vom IMI die entsprechende Entwicklungskompetenz ein. Wir haben beispielsweise eine sehr ausgereifte System-Software für Virtual Reality (VR) am Institut entwickelt. Unser französischer Partner ist ebenfalls sehr versiert im Bereich VR und bringt sein Know-how in die Entwicklung ein“, erklärt Anjela Mayer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IMI.
Für eine digitalisierte Industrie und Denkweise
XIRCON vereint Forschungsstärken und verbindet die beiden Welten Realität und Virtualität. Zusätzlich liefert das Projekt dem wbk einen Prototyp. „Wir haben damit zwar ein konkretes Beispiel im Forschungsumfeld, zeigen aber auch die Machbarkeit und das Potenzial anhand konkreter Messwerte für die Industrie auf. Unser Wunsch ist es, weitere Projekte zu initiieren, das Thema weiterzuentwickeln und in die Industrie zu übertragen“, blickt Mayer optimistisch in die Zukunft. Ovtcharova ergänzt: „Neben dem Mehrwert für die Industrie hoffen wir auch, das Bewusstsein und die Denkweise in Bezug auf die Digitalisierung zu schärfen. Viele Menschen empfinden die physische und digitale Welt als eine Art Paralleluniversum. Dabei ist die digitale Welt vielmehr eine Erweiterung unserer physischen Realität. Wir leben analog, aber wir kommunizieren zunehmend digital und bewegen uns dadurch viel mehr in der digitalen Welt.“
Am IMI haben Anjela Mayer und Prof. Dr.-Ing. Jivka Ovtacharova die Möglichkeit, die digitale Welt mit der realen Welt zu verbinden: im Cave, einem Raum zur Projektion einer dreidimensionalen Illusionswelt der virtuellen Realität, können sie die Umgebung des wbk abbilden und Anwendungen virtuell testen. (Bild: Amadeus Bramsiepe / KIT)
Forschende am IMI haben eine sehr ausgereifte System-Software für Virtual Reality entwickelt, die XIRCON zugute kommt. (Bild: Amadeus Bramsiepe / KIT)
Prof. Dr. Dr.-Ing. Dr. H. C. Jivka Ovtacharova, Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI) (Bild: Amadeus Bramsiepe / KIT)
Die Besonderheit der erweiterten Realität ist die Darstellung einer interaktiven Umgebung, die der anwendenden Person aufzeigt, wo man sich wie bewegen oder interagieren und gewisse Aktionen durchführen kann. (Bild: Amadeus Bramsiepe / KIT)
Keyfacts zum Projekt
PROJEKT XIRCON
eXtended Intelligence for Rapid Cognitive Reconfiguration (Erweiterte Intelligenz für schnelle kognitive Rekonfiguration)
PROJEKTBETEILIGTE
Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI), wbk Institut für Produktionstechnik, Arts et Métiers: Laboratoire d‘Ingénierie des Systèmes Physiques et Numériques (LISPEN)
ZIEL
Implementierung eines menschzentrierten kognitiven Unterstützungssystems
Diese Seite nutzt Website-Tracking-Technologien von Dritten, um ihre Dienste anzubieten. Ich bin damit einverstanden und kann meine Einwilligung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen oder ändern.