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AUS EIGENEM ANTRIEB

Wie Marcel Ph. Mayer und Michael Frey Lenkkraftunterstützungssysteme am Fahrzeug revolutionieren wollen.



Es könnte eine äußerst bequeme Situation sein: Man steigt in sein Auto, drückt ein paar Knöpfe und lehnt sich anschließend mit der Zeitung in der Hand entspannt zurück. Das Auto fährt dabei selbstständig und ohne Eingreifen der Fahrzeuginsassen zum Ziel. Man nennt das „autonomes Fahren“. Eine Vision der Zukunft oder schon baldige Realität?

„Ersetzt man den Menschen im Fahrzeug durch einen Automatismus, so muss die Lenkungsenergie, die der Mensch beim Fahren aufbringt, vollständig durch Technik substituiert werden. Gerade hier sind energieeffiziente Systeme wünschenswert, die wir entwickeln wollen“, erklärt Marcel Ph. Mayer. Der Maschinenbauingenieur ist Mitarbeiter bei Schaeffler, einem weltweit führenden Automobil- und Industriezulieferer. Sein Büro befindet sich jedoch direkt auf dem KIT-Campus Ost in Karlsruhe. Mayer leitet die Arbeitsgruppe „Automatisiertes Fahren“ am „Schaeffler Hub for Automotive Research in E-Mobility“, die im Rahmen der Kooperation mit Schaeffler und dem KIT im Juli 2012 entstanden ist.

Gemeinsam mit Michael Frey vom Institut für Fahrzeugsystemtechnik des KIT hat er mit einer Projektidee* das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) überzeugt. Nun entwickeln die Projektpartner Schaeffler und das KIT gemeinsam in einem Projektteam eine neuartige Lenkkraftunterstützung durch radselektive Antriebe, eine Vorarbeit zum autonomen Fahren.

Lenkkraftunterstützungsanlagen in PKW, LKW oder anderen Fahrzeugen reduzieren das durch den Fahrer aufzubringende Lenkmoment am Lenkrad. Hierbei muss im Normalfall, zusätzlich zur Antriebsenergie des Fahrzeugs, Energie für die Lenkung bereitgestellt werden. Durch die fortschreitende Elektrifizierung des Antriebstrangs ergeben sich neue Möglichkeiten, diese Energie bereitzustellen, beispielsweise durch radselektive Antriebe.

Die Grundidee des Projekts ist schon fast bestechend einfach: Man stelle sich eine alte Kutsche vor. Links und rechts am Rad wird ein Elektroantrieb befestigt. Diese Elektroantriebe drehen sich in unterschiedliche Richtungen, sodass sich die vordere Kutschlenkung ebenfalls dreht. Eine moderne Interpretation dieses Prinzips will das Projektteam nun auch in heutigen Fahrzeugen integrieren. Die Antriebe sollen so genutzt werden, dass auf der einen Seite ein stärkeres Moment erzeugt wird als auf der anderen Seite.

In klassischen Fahrzeugen muss beim Lenken immer zusätzliche Energie durch die Lenkkraftunterstützung, sei es hydraulisch oder elektromechanisch, zur Verfügung gestellt werden. Diese Energie ist jedoch nur dazu da, um zu lenken, sie hat für das Vorwärtskommen keinen Effekt. „Das soll sich in Zukunft ändern“, erklärt Mayer, „denn der Traktionsantrieb, der für das Vorwärtsfahren des Fahrzeugs benötigt wird, ist durch geschickte Ansteuerung und durch eine geeignete Geometrie der Radaufhängung in der Lage, eine Lenkkraftunterstützung zu realisieren. Wir wollen die Differenzenbildung der Kräfte dazu nutzen, die Energie direkt zu verteilen, um somit auf zusätzliche Aktorik, die momentan im Fahrzeug verbaut ist, zu verzichten.“

Typischerweise werden bei heutigen Elektrofahrzeugen konventionelle elektromechanische Antriebe zur Lenkkraftunterstützung verwendet. „Wir wollen die Antriebskräfte der Elektromotoren nutzen, um die Querdynamik des Fahrzeugs und somit das Lenkungsverhalten zu beeinflussen“, erklärt der Projektmitarbeiter Jürgen Römer und ergänzt: „Die Lenkkraftunterstützung wird dadurch funktionell in den Antriebsstrang integriert.“ Durch die Nutzung von radselektiven Traktionsantrieben, einem intelligenten Ansteuerungskonzept sowie einer geeigneten Lenkungsgeometrie kann auf eine konventionelle Lenkkraftunterstützung gänzlich verzichtet werden. Das Einlenken der Räder erfolgt ohne zusätzliche Energie. Somit ergibt sich allein durch die gezielte Verschiebung der Antriebsleistungen eine für den Fahrzeugführer spürbare Lenkkraftunterstützung.

Gerade im Bereich der Elektromobilität, bei der Fragen nach Reichweiten immer wieder kritisch betrachtet werden, bietet die neuartige Lenkkraftunterstützung nicht nur Möglichkeiten zur Energieeinsparung. Großes Potenzial lässt auch die Bauraum- und Gewichtsoptimierung durch die potenziell mögliche Substitution einer klassischen Lenkkraftunterstützung erkennen. Durch die kompaktere Bauweise des Fahrzeugs erfolgt eine deutliche Einsparung entsprechender Materialien und Fertigungsschritte. „Der große Nutzen der zu erforschenden neuartigen Lenkkraftunterstützung und deren Integration in den Antrieb besteht in der Reduktion der Systemkomponenten für Elektrofahrzeuge und der energetischen Optimierung des Systems. Daraus ergeben sich Kosteneinsparpotenziale sowohl auf Hersteller- als auch auf Anwenderseite“, erklärt Michael Frey.

Wohin geht die Reise: Wie sieht die zukünftige Forschung aus? „Auch in Zukunft wird der Mensch im Mittelpunkt stehen und das Fahren noch auf lange Zeit seine Aufgabe bleiben. Nur der Mensch kann die Verantwortung übernehmen“, sagt Frey. Ob klassische Lenkkraftunterstützungsanlagen komplett substituiert werden können, muss sein Team noch ausloten, da eine Lenkung im Stillstand bei konventioneller Auslegung eine Herausforderung darstellt. Jedoch sind die Potenziale gerade auch während der Fahrt zweifelsohne vorhanden. Deshalb bleibt der Anspruch des Projektteams an zukünftige Systeme entsprechend hoch: „Wir wollen das Fahrgefühl am Lenkrad deutlich verbessern“, so Frey, „und somit die Fahrqualität erhöhen. Wir denken dabei an einen deutlichen Kundennutzen wie Komfort- und Sicherheitsgewinn, sowie an eine hohe Zuverlässigkeit unserer Systeme. So bleibt dem Autofahrer auch weiterhin die Freude am Fahren erhalten.“ Ein selbstständig lenkendes Fahrzeug auf Basis der neuartigen Lenkkraftunterstützung wäre ein weiterer Schritt, über den der Forscherkreis ebenfalls jetzt schon nachdenkt.

* Das Projekt „e²-Lenk Energieoptimale, intelligente Lenkkraftunterstützung für elektrische Fahrzeuge“ wird im Rahmen des Programms „IKT 2020 – Forschung für Innovationen“ als Teil der Hightech-Strategie der Bundesregierung vom BMBF unter dem Förderkennzeichen 16EMO0073K gefördert.

„Ich arbeite bewusst in einem Forschungsbüro der Industrie und gleichzeitig an einer der größten Forschungseinrichtungen Europas, dem KIT. Wissenschaft und Wirtschaft treffen hier aufeinander und es ist schön, mitzuerleben und mitzugestalten, wie daraus ein innovatives und erfolgreiches Produkt entstehen kann. Das macht meine Arbeit so spannend.“

Dr.-Ing. Marcel Ph. Mayer

 

 

Bilder: KIT

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