Was wäre, wenn Ingenieure eine Brücke bauen würden, ohne vorher die Statik zu berechnen? Was wäre, wenn die Wände eines Hochhauses plötzlich zu klein wären um das Dach zu halten? Warum müssen wir uns solche Fragen nicht stellen? Weil Brücken und andere Bauwerke nicht im Trial-and-Error-Verfahren entstehen – vor dem Bau entwerfen Experten die Baupläne und berechnen die Statik. Die Belastungsproben werden im Computer berechnet bevor nur ein einziger Stein gemauert wird.
„Bei der Software-Entwicklung geht es zwar nicht darum, ob Stützpfeiler wegbröckeln. Trotzdem lassen sich zwischen Brückenbau und Software-Entwicklung Parallelen ziehen“, sagt Informatik-Professor Ralf Reussner. Vor acht Jahren ist ihm aufgefallen, was Software-Entwicklern im Gegensatz zu Ingenieuren bei der Arbeit fehlt: ein Werkzeug, das die Architektur einer Software vor ihrer Implementierung simuliert. „Damals galt so etwas als nicht sinnvoll machbar, da in der Architektur wesentliche Information zum Ablauf der Software fehlen“, erinnert sich Reussner. „Wir verstanden aber, dass nicht der Ablauf der Software simuliert werden muss, sondern die Geschwindigkeit und die Zuverlässigkeit der Software“. Einer der wesentlichen Durchbrüche seines Teams am KIT und dem Forschungszentrum Informatik (FZI) ist, diesen Analyseeffekt nur mit Hilfe der Architektur zu erreichen. Ergebnis ist der Architektursimulator PALLADIO.
Benannt nach einem der berühmtesten und einflussreichsten „Berufsarchitekten“ der Welt, Andrea Palladio. kann der Simulator die Schwächen und Stärken von Performanz und Zuverlässigkeit komplexer Softwarearchitekturen analysieren oder beim Entwickeln einer neuen Software unterstützen. FZI-Abteilungsleiter Klaus Krogmann erklärt: „PALLADIO simuliert nach einem Was-wäre-wenn-Prinzip die Wege einer Benutzeranfrage durch ein Software-System. Software-Eigenschaften wie Antwortzeiten und Ressourcenverteilung können anschließend gezielt optimiert werden.“. Für Unternehmen sind daran vor allem zwei Aspekte interessant: Die Steigerung der Produktivität durch Vermeidung unnötiger Implementierungsaufwände und die Qualitätssicherung.
„PALLADIO ist eine verlässliche neutrale Qualitätssicherungs-Instanz“, erklärt Christian Popp, der PALLADIO als IT-Leiter bei der Bertelsmann-Tochter arvato infoscore erfolgreich einsetzt. HIS, eine Software für den Betrugspräventionspool der deutschen Versicherer, ist das erste Testobjekt bei arvato und hat gut abgeschnitten. „HIS ist mit 30 Millionen Zugriffen pro Jahr eine komplexe Software und die sensiblen Daten machen eine erstklassige Qualitätssicherung obligatorisch“, erklärt KIT-Alumni Popp, der das FZI unter anderer Leitung noch aus seiner Studentenzeit kennt.
Der Bedarf an einem Simulator ist nicht nur bei Software-Häusern, sondern vor allem auch in den Sekundärbranchen wie bei Banken und Versicherungen groß – überall, wo besonders sichere, komplexe Software eingesetzt wird. Für Professor Reussner ein klares Zeichen, das PALLADIO am Markt ankommt: „Letztlich ist Innovation immer eine gute Idee, die mit Blick auf den Einsatz weiterentwickelt wird und am Ende gewinnbringend eingesetzt wird“.
SICHERE SOFTWARE BEI DEN DEUTSCHEN VERSICHERERN
“arvato infoscore hat im Frühjahr 2011 das Hinweis- und Informationssystem (HIS) der deutschen Versicherungswirtschaft neu entwickelt. HIS dient Versicherern zur Risikoprüfung und Prüfung im Schadensfall und bei Manipulationsverdacht. Die Software ist eine Branchenlösung, auf die aktuell täglich etwa 120 Mandanten zugreifen, perspektivisch die gesamte Branche mit ihren über 480 Versicherungsunternehmen. Das hohe Transaktionsvolumen, die Komplexität und die Sicherheitsanforderungen an das System erfordern eine verlässliche Qualitätssicherung bei der Entwicklung und auch später in der Wartung. Wir haben mit sehr guten Ergebnissen PALLADIO als initiale Architekturbewertung eingesetzt und wollen das System in der Weiterentwicklung zukünftig periodisch wieder damit bewerten“. – Christian Popp, Leiter IT im Geschäftsbereich Risk Management bei arvato infoscore GmbH
DIENSTE FÜR DIE TELEKOMMUNIKATION
“Ericsson Nikola Tesla (ENT) und Klaus Krogmanns Team am FZI haben im europäischen Projekt Q-ImPrESS 'Quality Impact Prediction for Evolving Software Systems' zusammengearbeitet. Das ENT-Team entwickelte eine Prototypsoftware zur Schaffung neuer internetprotokoll-basierter Dienste für bestehende Telekommunikationsanlagen. Das FZI-Team unterstützte das ENT bei der Modellierung und der Performanceanalyse des Prototyps. Dafür wurden PALLADIO und das daraf basierende Q-ImPrESS Analysewerkzeug eingesetzt. Als Ergebnis standen sehr genaue Performancevorhersagen, selbst für sorgfältig konstruierte Systemmodelle mit einem hohen Abstraktionsgrad. In unserem Fall lagen die von PALLADIO vorhergesagte und die tatsächliche Performance nur 15 Prozent auseinander, ein erstklassiger Wert. Momentan nutzen wir das Potential von Palladio bei der Software-Entwicklung in neuen Projekten.“ – Ivan Skuliber, Senior Softwarearchitekt bei Ericcson Nikola Tesla
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Bilder: KIT