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FEINSTAUB AUF LUNGENZELLEN
Schon vor fast 500 Jahren formulierte der Arzt Paracelsus einen medizinischen Grundsatz, der noch heute gilt: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.“ Feinstaub hat Einfluss auf die Gesundheit des Menschen, das hat zu gesetzlichen Grenzwerten geführt. Diese Feinstaubgrenzwerte beziehen sichjedoch nur auf die Konzentration des Feinstaubs, die alleine keine Aussage über die toxische Belastung liefert. Die KIT-Wissenschaftler Dr. Hanns-Rudolf Paur und Sonja Mülhopt entwickeln Systeme, die feiner messen.
„Bevor man bestimmen kann, welche Dosis giftig wirkt, muss man erst einmal herausfinden, um welchen Stoff es sich handelt“, sagt die Verfahrenstechnikingenieurin Mülhopt. Und genau das leisten die aktuellen Feinstaubmessungen nicht. Sie wiegen lediglich, wieviel Feinstaub in einem gewissen Zeitrahmen beim Gerät ankommt. „Entscheidend ist aber, wie groß die einzelnen Partikeln sind“, sagt die Wissenschaftlerin. Denn oft verändern sich die Eigenschaften eines Stoffs ab einer gewissen Größengrenze – was in Makrogröße ungefährlich ist, kann in Nanogröße giftig sein. Je kleiner ein Partikel, desto tiefer kann es auch in das Lungensystem des Körpers eindringen. Während größere Teilchen im Nasen-Rachen-Raum abgeschieden und schnell wieder ausgestoßen werden, lagern sich Partikeln unter einem Mikrometer über lange Zeit in den Lungenbläschen ab – ein Gesundheitsrisiko, das in Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen münden kann. Kraftverkehr, Industrie und Hauskamine tragen die größten Anteile zum Feinstaub in der Luft bei.
„Für uns ist es toll zu sehen, dass die Quintessenz unserer Arbeit in die industrielle Anwendung fließt.“
Schon vor 12 Jahren fragten sich Sonja Mülhopt und Dr. Hanns-Rudolf Paur, wie gasgetragene Feinstpartikeln realistisch getestet werden könnten. Die Konsequenz: „Wir müssen ein Gerät schaffen, das die Vorgänge im menschlichen Körper ab der Nase bis in die Lunge abbildet und reproduzierbare Ergebnisse zu Größe und Stoff ausgibt“, erklärt der Chemiker Paur. Ein komplexes Vorhaben: Um das Fließen eines Luftstroms durch die Lunge zu simulieren, eignen sich gebräuchliche Testmethoden nicht.
Denn die dabei eingesetzten Messkammern halten die menschlichen Zellen in einer flüssigen Nährlösung, die Testergebnisse verfälschen kann. Darüber hinaus lässt sich ein Aerosol, gasgetragene Partikel wie sie in Luftströmen vorliegen, in einem standardisierten Gerät nicht einfach handhaben. „In unseren Messkammern treffen die ‚eingeatmeten‘ Partikel nicht auf eine Flüssigkeit, sondern direkt auf Lungenzellen. Momentan entwickeln wir nun das marktfähige Gesamtsystem um diese Messkammern herum“, sagt Sonja Mülhopt. Ein Ziel, das die Wissenschaftler gemeinsam mit KIT-Kollegen aus der Biologie und der Firma VITROCELL Systems im Zuge eines Technologietransferprojekts umsetzen.
Nach einer ersten erfolgreichen gemeinsamen Produktentwicklung, einer Quartzmikrowaage zur Bestimmung der Partikeldeposition, arbeiten die Partner seit Oktober an der ersten Gerätegeneration, die alle Module miteinander verbindet und die Messungen verfeinert. Langfristig haben Paur und Mülhopt ein ehrgeiziges Ziel: „Die Tests sollen völlig automatisiert ablaufen und unser Gerät in jedem Toxikologielabor zur Bewertung der Wirkung von Feinstäuben eingesetzt werden.“
Bilder: KIT