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MIT COMPUTERHERZ ZUM THERAPIEERFOLG

Das Institut für Biomedizinische Technik des KIT entwickelt mit mathematischen Gleichungen ein computerbasiertes Herzmodell, das der gezielten Behandlung von Herzrhythmusstörungen dient und damit die medizinische Forschung und Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Verfahren verbessern soll.

Das Forscherteam der Arbeitsgruppe Herzmodellierung von Dr. Axel Loewe erstellt Computermodelle des menschlichen Herzens.


In Deutschland leiden etwa 1,8 Millionen Menschen an Vorhofflimmern – der am häufigsten auftretenden Art von Herzrhythmusstörungen. Vorhofflimmern ist zwar nicht unmittelbar lebensbedrohlich, dennoch geht es mit einem erhöhten Schlaganfall-Risiko einher. Therapiert wird heutzutage mit Medikamenten oder Katheterablation. Bei dieser Methode wird durch Einführung eines Katheters das krankheitsauslösende Gewebe im Herz mittels Erhitzung vernarbt und somit funktionsuntüchtig gemacht. Etwa drei Viertel aller Betroffenen verhilft die Ablation zur Genesung, bei den übrigen hingegen bleibt sie erfolglos.

„Die medizinische Forschung ist in vielen Punkten sehr weit. Eine Herausforderung ist aber noch immer, die Grundlagenerkenntnisse auf die Patienten zu übertragen“, erklärt Dr. Axel Loewe, Leiter der Forschungsgruppe Herzmodellierung am Institut für Biomedizinische Technik. Ziel seiner Arbeitsgruppe ist es, das menschliche Herz mit mathematischen Formeln realitätsgetreu im Computer abzubilden, um physiologische und pathologische Mechanismen zu untersuchen und Herzrhythmusstörungen noch gezielter zu behandeln.

Die Grundlage für die Entwicklung neuer Therapieformen sind häufig erfolgversprechende Zell- und Tierexperimente. Bei der Übertragung von Tier auf Mensch kommen diese Experimente allerdings an ihre Grenzen. Eine Ursache dafür ist, dass die grundlegenden, krankheitsauslösenden Mechanismen zwar die gleichen sind, aber die individuellen Faktoren sich doch deutlich unterscheiden. „Wir sind der Überzeugung, dass Computermodelle diese Limitationen aufgreifen und oftmals beheben können, da sie sowohl für das Tier als auch für den Mensch erstellt werden können. Die experimentelle Grundlagenforschung, die im Tier stattgefunden hat, kann beispielsweise zunächst für das Tier im Computermodell nachgebaut und dann auf den Menschen übertragen werden“, so Dr. Loewe. Mithilfe der Computersimulation können Auswirkungen vorab getestet und die Übertragbarkeit auf das tatsächliche Verhalten im Menschen besser vorbereitet werden. So erhält die Ärztin oder der Arzt beispielsweise durch die Simulation einen konkreten Vorschlag, wo die Ablation am effektivsten ist.

Im Fokus der Computermodellierung stehen die Elektrophysiologie und die Mechanik des Herzens, die miteinander gekoppelt und unter Zuhilfenahme von Multiskalenmodellen repräsentiert werden. Die Elektrophysiologie beschreibt alle Abläufe im Herzen, die elektrischer Natur sind und mit dem Herzrhythmus in Verbindung stehen. Die Mechanik beschreibt die Verformung des Herzens bei jedem Herzschlag. Die Multiskalenmodelle umfassen mehrere biologische Ebenen: vom Ionenkanal, über Zellen, hin zu Geweben und Organen. Unter Berücksichtigung der grundlegenden Naturgesetze werden die Ebenen Schritt für Schritt aufgebaut, sodass ein Modell des Herzens entsteht. In jede dieser Ebenen werden zusätzliche Informationen von außen eingespeist, um die freien Parameter in den Gleichungen mit Werten zu versehen. Solch eine Information kann beispielsweise die Form des Herzens aus einer Magnetresonanztomographie (MRT) sein.

„Der erste Meilenstein der Herzmodellierung ist die Reproduktion eines gesunden Herzens. Das haben wir für viele Bereiche schon seit einigen Jahren grundsätzlich geschafft. Der nächste Schritt ist die Reproduktion eines Modells, welches krankheitsspezifisch sein wird“, beschreibt Dr. Loewe den derzeitigen Stand seiner Forschung. Das Team arbeitet zudem an einer räumlich deutlich erhöhten Auflösung des Herzmodells, um zukünftig jede Zelle individuell abzubilden und den Krankheitsverlauf von Herzrhythmusstörungen noch genauer zu durchleuchten. Die Modellentwicklung erfolgt in engem Austausch von Forschern des KIT sowie Ärztinnen und Ärzten des Städtischen Klinikums Karlsruhe, des Universitätsklinikums Heidelberg und des Universitäts-Herzzentrums Bad Krozingen. „Die Computermodelle helfen uns, klinische Beobachtungen besser zu verstehen, einzuordnen und die gewonnenen Erkenntnisse auf andere Patientinnen und Patienten übertragen zu können“, so PD Dr. Amir Jadidi, Oberarzt für Rhythmologie am Universitäts-Herzzentrum Bad Krozingen.

Auch wenn das Modell für den Routineeinsatz und die individuelle Patiententherapie aktuell noch keine Anwendung findet, sind viele damit gewonnene Erkenntnisse bereits in der klinischen Praxis im Einsatz, beispielsweise im Bereich der Medikamentenforschung, um einfachere Metamodelle zu generieren und so neue Wirkstoffe zu evaluieren. Weiterhin können Forscherinnen und Forscher mit dem Computermodell Hypothesen generieren, die für die Planung experimenteller Arbeit genutzt werden können. „Ein positiver Effekt ist, dass Computermodelle dabei helfen können, Experimente zielgerichteter durchzuführen und so auch die Anzahl an Tierversuchen zu reduzieren“, so Dr. Loewe.

Dr. Jadidi konkretisiert den Mehrwert für seine Arbeit: „Wenn es darum geht, neue Algorithmen zur Analyse unserer klinischen Signale systematisch zu evaluieren, ist die Möglichkeit mit Computermodellen quasi beliebig viele Signale synthetisch generieren zu können, für die der Ursprung bekannt ist, äußerst wertvoll. Diese Möglichkeit wird mit der zunehmenden Verbreitung von Machine-Learning-Verfahren weiter an Bedeutung gewinnen.“

Ziel der Forschung ist es, die Simulation so schnell wie möglich in die tägliche Anwendung zu bringen und dadurch die Diagnostik und Therapie von Herzerkrankungen zu verbessern. „Ich könnte mir vorstellen, dass es in zehn Jahren ein neues Berufsbild gibt: Das, was heute im MRT-Bereich die Radiologie-Assistenten sind, sind in zehn Jahren für die Herzmodelle vielleicht Simulationsassistenten“, beschreibt Dr. Loewe das zukünftige Potenzial der Forschung.

 

openCARP – Die Software für Herzsimulation

Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts hat das KIT gemeinsam mit den Universitäten Freiburg, Graz und Bordeaux im März 2020 das Softwarepaket „openCARP“ veröffentlicht (www.openCARP.org). Damit soll das Simulationsprogramm als Forschungswerkzeug der Wissensgemeinschaft zugänglich gemacht werden. Bisher gab es viele parallel existierende Prototypen, die allesamt verschiedene Schwachstellen aufwiesen. openCARP minimiert diese Schwachstellen und stellt für große Teile der Community eine passende Lösung zunächst für den Bereich der Elektrophysiologie dar. Mit Trainingsmaterial, Videos und Dokumentationsmöglichkeiten bietet sie außerdem das Potenzial, Synergieeffekte zu erzielen.

„Computermodelle können eine wertvolle, zusätzliche Säule im Portfolio der Forschungswerkzeuge für Herzrhythmusstörungen sein. Sie können einen langfristigen Mehrwert schaffen und die Patientenversorgung positiv beeinflussen – nicht nur im individuellen Patientenmodell, auch grundlegend.“

Dr.-Ing. Axel Loewe

 

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Bilder: Markus Breig / KIT

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