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PER TANDEMSOLARZELLEN DEM KLIMAWANDEL ENTGEGENWIRKEN
Auf den ersten Blick mag ein Tandem sperrig und unhandlich sein. Auf den zweiten Blick bietet es gegenüber einem gewöhnlichen Fahrrad aber einen entscheidenden Vorteil: zu zweit läuft es besser! Aufgrund der Doppelbesetzung ist mehr Kraft vorhanden, um den Antrieb des Rads maßgeblich zu erhöhen und weitere Strecken zurückzulegen.
Dieses grundlegende „Tandemkonzept“ machen sich Forscherinnen und Forscher des KIT zunutze, um Solarzellen der nächsten Generation zu entwickeln. Etablierte Silizium-Solarzellen haben in ihrer Technologieentwicklung einen jahrzehntelangen Fortschritt durchlaufen und stoßen heute, was die Umwandlungseffizienz von Licht in elektrische Energie betrifft, zunehmend an ihre Grenze. „Das Optimierungspotenzial ist in absehbarer Zeit erschöpft. Jedes weitere Prozent Wirkungsgrad bedeutet einen enormen Entwicklungsaufwand“, erklärt Junior-Prof. Ulrich W. Paetzold, Tenure Track-Professor und Leiter der Arbeitsgruppe Next Generation Photovoltaics am KIT. Um dieser Sackgasse zu entkommen braucht es neue, effizientere Konzepte. Solarzellen auf Basis von Perowskit-Halbleitern sind hierbei besonders interessant für die Wissenschaft, da diese in den vergangenen zehn Jahren eine unglaublich rasche Steigerung des Wirkungsgrades zeigten.
Besonders vielversprechend sind Perowskit-Solarzellen in Kombination mit einem weiteren Solarzellenmaterial, wie zum Beispiel kristallinem Silizium oder etablierten Dünnschicht-Halbleitern wie CIGS (Copper, Indium, Gallium, Selenide) in Form einer Tandemsolarzelle. Das liegt insbesondere daran, dass Perowskite das blau-lila erscheinende hochenergetische Licht im Sonnenspektrum effizienter nutzen die anderen Solarzellen, die vor allem rotes und infrarotes Licht effizient in elektrische Energie umwandeln. Der Einsatz mehrerer Solarzellen mit unterschiedlich effizienten Absorptionsbereichen sorgt so für die höheren Wirkungsgrade als für die individuellen Solarzellen.
Vereinfacht kann man sich die Tandemsolarzelle also als Silizium+ Solarzelle (bzw. CIGS+ Solarzelle) vorstellen. Die Verwendung von Silizium oder CIGS in der Tandemsolarzelle ist deshalb attraktiv, weil damit das Rad nicht neu erfunden werden muss, sondern eine etablierte Produktionstechnologie als Basis für die Tandemsolarzelle genutzt werden kann. Die Begeisterung für dieses Konzept ist bereits aus der Wissenschaft in die deutsche Photovoltaik-Industrie übergegangen. Auch wenn es noch einige Herausforderungen, wie die noch unzureichende Langzeitstabilität, zu bewältigen gilt, befassen sich bereits zahlreiche Firmen (Maschinenbauer, Modulhersteller, Materialanbieter) mit der Technologie, beispielsweise die Firma Oxford Photovoltaik, die in Brandenburg derzeit eine erste Pilot-Linie aufbaut.
Der Flaschenhals in der Entwicklung der Tandemsolarzelle betrifft derzeit vor allem die Perowskit- Solarzelle an der Vorderseite. „Wir haben einen Tandemprototyp entwickelt, mit dem wir aktuell die Effizienz der Silizium-Solarzelle von etwas über 20 Prozent auf 27,8 Prozent verbessern. Damit haben auch wir den Nachweis erbracht, dass die Technologie bereits heute die beste jemals vermessene Silizium-Solarzelle übertreffen kann. Die Tandemtechnologie funktioniert“, beschreibt Junior-Prof. Paetzold den aktuellen Stand. Sein Team arbeitet auf allen Ebenen daran, die Tandemtechnologie weiter voranzutreiben und unter realen Lichtverhältnissen den Ertrag zu optimieren. Ein wichtiger Forschungsaspekt ist die Aufskalierung der Perowskit-Solarzelle vom kleinen Labormaßstab auf anwendungsrelevante Flächen für Solarmodule. Eine besondere Herausforderung für die Aufskalierung ist die gleichmäßige Beschichtung aller Solarzellenschichten auf dem Substrat. „Die homogene Abscheidung der Solarzellenschichten durch Rotationsbeschichtung funktioniert im Labor auf kleinen Flächen wunderbar. Industriell ist sie nicht anwendbar, da die Methode bereits auf Flächen von einigen wenigen Quadratzentimetern zu starker Inhomogenität bei der Abscheidung führt“, erklärt Dr. Tobias Abzieher, Wissenschaftler im Bereich Vakuumabscheidung von Perowskit-Solarzellen und Mitglied des Forschungsteams. Sein Lösungsansatz: das Aufdampfen der einzelnen Solarzellenschichten im Vakuum. „Das Aufdampfen ist wegen seiner herausragenden Homogenität in der Industrie ein Standardansatz und ermöglicht darüber hinaus eine sehr gute Kontrolle über Schichtdicke und Materialzusammensetzung der involvierten Schichten. Dass wir ein vollständig aufgedampftes Perowskit-Solarmodul entwickelt haben, ist weltweit einzigartig und hebt unsere Arbeit von anderen Forschungen ab“, berichtet Dr. Abzieher stolz.
Die Entwicklung kostengünstiger und skalierbarer Herstellungsverfahren, wie der Vakuumabscheidung, aber auch die Entwicklung innovativer Abscheidungsverfahren aus der Flüssigphase ist zentral für die Karlsruher Forschung. Um die Tandemtechnologie für die kommerzielle Anwendung zu ermöglichen, arbeitet das Team mit einer Vielzahl nationaler, europäischer und internationaler Unternehmen zusammen. Die unterschiedlichen Facetten der Forschung werden stark durch die Helmholtz Gemeinschaft, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das europäische Forschungsrahmenprogramm unterstützt.
Der enorme Fortschritt der Perowskit-Forschung katapultiert das Halbleitermaterial schon jetzt an die Spitze der Hoffnungsträger für leistungsstarke und preiswerte Solarzellen von morgen. Nicht umsonst zählt die Perowskit-Photovoltaik zu einem der sich am rasantesten entwickelnden Forschungsfelder weltweit. Die Forscherinnen und Forscher des KIT rechnen mit einer Marktverfügbarkeit der Tandemtechnologie bereits bis Mitte des aktuellen Jahrzehnts.
„Ich erwarte, dass Perowskit-Silizium-Tandemsolarzellen zukünftig insbesondere in großflächigen Photovoltaik-Kraftwerken eingesetzt werden. Im Labor wird der Wirkungsgrad der Technologie voraussichtlich schon in den nächsten Jahren 33 Prozent erreichen und damit die am Markt etablierte Silizium-Photovoltaik weit übertreffen.“
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Bilder: Markus Breig / KIT