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VERGISSMEINNICHT
„Das habe ich vergessen.“, „Was wollte ich nochmal machen?“ - Worte, die jedem mal über die Lippen gehen.
Dabei darf man in den meisten Fällen von alltäglicher Schusseligkeit ausgehen. Mit fortschreitendem Alter kann dahinter jedoch auch die traurige Realität einer ernstzunehmenden Krankheit stecken: Demenz – das rasche Absterben von Gehirnzellen aufgrund krankhafter Prozesse im Gehirn.
In Deutschland leben Schätzungen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zufolge rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Tendenz steigend, denn der demografische Wandel ist in vollem Gange und die Lebenserwartung der Menschheit nimmt zu. Der Krankheitsverlauf einer Demenz ist komplex, es gibt unterschiedliche Formen mit unzähligen Risikofaktoren und Symptomen. So divers die Formen der Krankheit sind, haben die meisten dennoch eines gemeinsam: Sie sind nicht heilbar. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse vermelden aber Positives. Der Demenzverlauf kann vor allem im Frühstadium durch eine individuelle Behandlung der reversiblen Risikofaktoren, wie ungesunder Schlaf, Rauchen oder mangelnde soziale Kontakte, stark beeinflusst und die demenzielle Entwicklung damit verringert werden. Die Gründer Marius Gerdes, Markus Schinle und Simon Stock von Metis Neurotec haben sich die Demenzbehandlung zur Aufgabe gemacht und entwickeln mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) einen Ansatz, der den Demenzverlauf mittels digitalem Behandlungskonzept deutlich verlangsamen und hinauszögern kann. Das große Vergessen klein und das Leben lebenswert halten: Ein Hoffnungsschimmer für Betroffene.
Demenz im Frühstadium
Erste Anzeichen einer Demenz können sich in Vergesslichkeit und Verwirrung, Persönlichkeitsveränderungen oder Orientierungslosigkeit zeigen. „Tritt eines dieser Anzeichen auf, müsste man umgehend intervenieren und Änderungsmaßnahmen, wie Bewegung im individuellen aeroben Bereich oder gezielte Ernährungsumstellung, im Alltag des Erkrankten einführen. Wenn man das Leben eines diagnostizierten Demenzkranken frühzeitig soweit umstellt, dass man den Risikofaktoren entgegentritt, ist die Hoffnung groß, auf diesem Stand zu bleiben und nicht in die starke Demenz abzurutschen“, so Stock. Die Betroffenen selbst ignorieren erste Anzeichen jedoch häufig. Scham, Angst vor dem Kontrollverlust und Verdrängung spielen dabei eine zentrale Rolle. Die harte Erkenntnis, das eigene Leben nicht mehr gewohnt frei und flexibel leben zu können. Erst bei eindeutigen Anzeichen sind es oftmals die Angehörigen, die stutzig werden und sich einschalten. Auch für sie ist die Krankheit eine Belastung. Die zunehmend einsetzende geistige und körperliche Beeinträchtigung führt früher oder später dazu, dass Erkrankte zu einer selbstständigen Lebensführung nicht mehr in der Lage sowie auf zeit- und kostenintensive Hilfe angewiesen sind. Die Symptome der Demenz sind schmerzhaft – für alle Beteiligten.
Vollumfängliches Behandlungskomzept für effizientere Behandlung
Die Behandlung von Demenz ist trotz unseres heutigen Medizinstandards nur eingeschränkt möglich. Eine beängstigende Erkenntnis, kann es doch jeden von uns treffen. Ein vollumfängliches System, das die Risikofaktoren und Behandlungsansätze aufzeichnet und validiert, gibt es aktuell nicht. Hier kommt die Entwicklung von Metis Neurotec ins Spiel. „Unser primäres Ziel ist die optimale Handlungsplanung nach der Diagnose vom Arzt“, beschreibt der Gründer Schinle den Fokus von Metis Neurotec. „Wir entwickeln ein KI-gestütztes Behandlungskonzept. Unsere METIS-App ist via Smartphone erreichbar und wird durch tragbare Sensorik wie Fitness-Tracker und ein EEG-Gerät ergänzt“. Arzt oder Ärztin und Erkrankte nutzen das System intensiv zusammen. Einige Werte, wie der Vitamin-B12-Spiegel, können mithilfe eines Bluttests ermittelt werden. Andere Werte, wie der Blutdruck oder die Vigilanz, werden mithilfe der tragbaren Sensorik kontinuierlich aufgezeichnet, um die Risikofaktoren für die Demenz zu bestimmen. Die Werte werden in der App mittels künstlicher Intelligenz gesammelt, evaluiert und automatisch in Behandlungsmaßnahmen überführt.
Das können einerseits nicht-medizinische Maßnahmen wie Bewegungs- und Konzentrationsübungen sein, andererseits auch medizinische Maßnahmen wie die Blutdruck-Korrektur, die in einem Bericht für die ärztliche Sprechstunde zusammengefasst werden. „Basis unseres Ansatzes ist der KI-Rhythmus. Diesen kann man sich wie ein Empfehlungssystem vorstellen: Patienten, die unter Faktor A leiden, hat Behandlung B geholfen. Risikofaktor C konnte am besten mithilfe von Behandlung D vorgebeugt werden. Die Idee ist, Erfahrungswissen und erfolgreiche Behandlungsansätze von Medizinern in die Breite zu tragen“, erklärt Schinle die Funktionsweise der App. Dank der intensiven Zusammenarbeit mit medizinischem Fachpersonal steht dem Team ein breites Domänenwissen zu Verfügung. Gleichzeitig werden neue Datensätze erhoben und existierende eingebunden.
Mithilfe der kontinuierlichen Datenaufzeichnung unter Einsatz der App, der KI-basierten Auswertung und der Empfehlungsfunktion wird regelmäßig der Zustand des Behandelten sowie der Erfolg der Behandlungsmaßnahmen überprüft. Ein wichtiger Unterschied zur derzeitigen Behandlung, die aus punktuellen, tagesformabhängigen Messungen und Werten zum Zeitpunkt des Praxisbesuchs besteht und durch Medikation ergänzt wird.
Vom Gründungsprojekt zur ‚App auf Rezept‘
Das Team von Metis Neurotec bereitet momentan die Gründung vor, denn die Lösung stößt von Unikliniken, über Krankenkassen hin zur Deutschen Alzheimer Gesellschaft auf vielseitiges Interesse. Die App wird aktuell durch Pilotpatienten getestet und weiter ausgereift. Mittel- bis langfristig möchte das Gründerteam die ‚App auf Rezept‘ als medizinisches Produkt auf den Markt bringen und damit Neurologen, Hausärzte und Krankenkassen unterstützen. Um die Zulassung als medizinisches Produkt zu erhalten, beschäftigt sich das Team intensiv mit den Vorschriften der digitalen Gesundheitsanwendung. Die nächsten wichtigen Schritte in Richtung Zulassung sind eine klinische Studie sowie die Zertifizierung gemäß den Anforderungen der Europäischen Verordnung für Medizinprodukte (Medical Device Regulation). Auch wenn es bis zur offiziellen Zulassung noch einige Schritte sind, ist das Team von Metis Neurotec schon jetzt davon überzeugt, dass sich der Aufwand lohnt. „Unser Ansatz kann die Demenz nicht heilen, aber die Spanne für ein gesundes, selbstständiges Leben deutlich verlängern“, so Gerdes.
Bilder: Markus Breig / KIT