Forschende des KIT entwickeln in Kooperation mit einem Vermessungsbüro einen automatisierten Mess- und Markierroboter, um Vermessungsarbeiten in Produktion und Logistik effizienter und genauer zu gestalten.
Kleine Differenz, große Wirkung
Sie können aus Beton oder in Kombination aus Epoxidharz sowie Polyurethan bestehen. Manchmal sind sie beschichtet, manchmal im Rohzustand. Einige haben eine grobe Oberfläche, andere wiederum sind glatt. Industrieböden von Produktions- und Lagerhallen sind so unterschiedlich, wie die Produkte, die in ihnen gefertigt oder gelagert werden. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Um einen sicheren Ablauf der Arbeitsprozesse in den Hallen zu gewährleisten, müssen sie nach DIN-Norm geprüft werden. „Schon geringe Höhendifferenzen können Flurförderfahrzeuge in Hochregallagern ins Wanken bringen. Fehlerhafte Neigungen und fehlende Abläufe können zur Pfützenbildung führen und den Boden spiegelglatt werden lassen“, erklärt Peter Runge, Diplomingenieur am Geodätischen Institut (GIK) des KIT. Außer Frage stehen daher Kontrollmessungen, um sicherheitskritische Unebenheiten zu detektieren. Auch ist es notwendig, Markierungen für Bohrungen genau zu platzieren, sodass zum Beispiel Produktionsstraßen montiert werden können. Kleine Abweichungen führen bereits dazu, dass Maschinenfundamente anschließend nicht verschraubt werden können.
Die modulare Roboterplattform RITA kann Markier- und Messaufgaben autonom ausführen.
Runter vom Rollbrett
Die aktuell gängige Vermessungspraxis umfasst bei der Ebenheitsprüfung das manuelle Aufsuchen und Messen der Bild rechts: Amadeus Bramsiepe / KIT einzelnen Punkte des Messrasters. Bei der Kennzeichnung von späteren Bohrungen beinhaltet sie das manuelle Markieren Punkt für Punkt durch eine Person, liegend auf einem Rollbrett. Eine unabhängige optische Kontrolle findet nicht statt. Bei neuen Industriehallen von heutzutage mehreren Tausend Quadratmetern Fläche erweisen sich diese manuellen Arbeitsschritte als mühselig und zeitraubend. „Für große Hallen und Produktionsstraßen können schnell mehrere Zehntausend Punkte anfallen, die aufgesucht und gemessen beziehungsweise markiert werden müssen. Es ist nicht nur ermüdend, sondern mit dem zur Verfügung stehenden Personal teilweise unmöglich, so viele Punkte manuell in einem bestimmten Zeitfenster zu vermessen oder genau zu markieren. Die Hallen werden trotzdem gebaut oder die Markierungen ausgebracht, mit Abstrichen in der Genauigkeit, die zu Problemen während der späteren Hallennutzung oder der Montage der Anlagen führen können“, erklärt Dr.-Ing. Christoph Naab, akademischer Mitarbeiter am GIK.
Auf dem Markt vorhandene selbstfahrende Markier- und Vermessungsgeräte können keine automatische Abnahmeprüfung der Böden nach DIN durchführen und sind mit maximalen Abweichungen bis zu zehn Millimetern oft zu ungenau, um Bohrpunkte zu markieren. Höchste Zeit für eine smarte Lösung. Im Rahmen des bundesweiten technologie- und branchenoffenen Förderprogramms Zentrale Innovation Mittelstand (ZIM) haben Runge und Naab gemeinsam mit einem Forschungsteam vom GIK und dem Institut für Photogrammetrie und Fernerkundung (IPF) des KIT um Prof. Dr. techn. Corinna Harmening und Prof. Dr.- Ing. Markus Ulrich sowie dem Vermessungsbüro Lingel aus Aalen die mobile Roboterplattform RITA entwickelt. RITA steht für „Robot with Integrated Tacheometer / Tracker steering for different Applications” und soll unterschiedliche Vermessungszwecke automatisiert in nur etwa 20 Prozent der bisher üblichen Arbeitszeit und mit einer höheren Genauigkeit durchführen. Abhängig von der Anwendung sind maximale Abweichungen von unter einem Millimeter gefordert. Zusätzlich soll eine vollständige Auswertung, Dokumentation und optische Qualitätskontrolle vor Ort stattfinden.
Teile des RITA-Teams, des GIK und des IPF sowie des Ingenieurbüros Lingel aus Aalen: Prof. Dr. techn. Corinna Harmening, M. Sc. Sebastian Sinn, Dr.-Ing. Christoph Naab, Robert Adrian, Dipl.-Ing. Peter Runge und Lazaro Bayer (v. l. n. r.).
Der Aufbau als Schlüsselelement
Die hohe Genauigkeit ergibt sich aus dem ausgeklügelten Aufbau: einer zentralen Reflektornachführung sowie einer kardanisch gelagerten Pendelmimik, die entweder die Höhenmess- oder die Markiereinheit trägt. Mit einer integrierten Kamera lassen sich zusätzlich Qualitätsparameter beim Markieren bestimmen. Anhand der Bilddaten analysieren und entscheiden moderne KI-basierte Verfahren vorab, ob ein Markieren aufgrund der Bodenbedingungen möglich ist. Position und Qualität einer ausgebrachten Markierung werden mittels weiterer Bildaufnahmen optisch geprüft. Ergänzt wird der Roboter durch ein marktübliches Tachymeter beziehungsweise einen Lasertracker und eine im Rahmen des Projekts entwickelte Software, die die Position des Roboters live darstellt. Hierin werden vorab die Grundparameter, wie Genauigkeitsprofil, Bodenausführung und Messraster, eingetragen, um das für den Roboter abzufahrende Punktefeld mit dessen Anforderungen für die Ebenheitsprüfung zu definieren. Für Bodenmarkierungen lassen sich Punktlisten und Genauigkeitsvorgaben importieren. Nach einer manuellen Ermittlung des Standorts vom stationären polaren Messinstrument wird eine Sichtverbindung zur Reflektoreinheit des Roboters aufgebaut. Durch die zentrale Anordnung des Kugelreflektors im Drehzentrum kann der Roboter nun eigenständig leicht navigieren. Mit nur wenigen Handgriffen ist er autonom arbeitsfähig. Damit der Roboter bei seiner Vermessungstätigkeit beständig und präzise geradeaus fährt, wurde er mit speziell entwickelten Rädern versehen. Durch das Einbinden eines stationären Messsystems ist die Position immer bekannt und seine Richtung lässt sich ständig berechnen. „So können wir gewährleisten, dass der Roboter immer noch auf korrektem Kurs ist, wenn er beispielsweise über einen Stein fährt“, erläutert Naab. Alle Daten werden in Echtzeit in die Software eingespielt und analysiert. „Ein großer Mehrwert, falls Bodenunebenheiten detektiert werden oder Markierungen aufgrund von Schäden oder Artefakten am Boden nicht ausgebracht werden können. Darauf kann das begleitende Gewerk direkt reagieren. Das spart Zeit und Kosten“, so Naab weiter.
Die gute Höhen- und Lagegenauigkeit der Roboter resultiert aus einer zentralen Reflektornachführung und einem kardanisch gelagerten Pendel, das entweder die Höhenmess (gelber Roboter) oder Markiereinheit (oranger Roboter) trägt.
Potenzial der Genauigkeit
Ein intuitiv zu bedienendes System mit höchster Genauigkeit – eine Entwicklung, die in der Industrie auf Interesse stößt. „Das breite Anwendungsspektrum ist uns erst mit den Anfragen aus der Industrie bewusst geworden“, sagt Runge. Vor allem im Innenbereich, wo hohe Genauigkeiten im Submillimeter-Bereich gefordert sind, kann RITA zukünftig wertvolle Arbeit leisten. Egal, ob zur Abnahmeprüfung von Hallenböden nach DIN-Norm, zur Bestimmung der Qualität von stark beanspruchten Böden für Ausgleichsmaßnahmen, zur Markierung von Bohrungen für Produktionsanlagen oder zur optischen Kontrolle – die Anwendungsszenarien sind vielfältig. „Es gibt viele Kunden, die eine sehr hohe Genauigkeit benötigen. Wir können wesentlich genauer arbeiten als die auf dem Markt verfügbaren Lösungen. Dabei ist unsere Limitation nicht der Roboter, sondern das stationäre Messgerät. Je größer der Abstand zum Messgerät ist, desto ungenauer werden die Messwerte. Die unseres Roboters bleiben hingegen immer gleichermaßen genau. Es ist wichtig, die Anwendung zu verstehen und den bisher manuellen Prozess exakt abzubilden, um bei der Automatisierung hohe Genauigkeit zu liefern“, beschreibt Runge das Alleinstellungsmerkmal.
Die Vermessung vermarkten
Die Nachfrage nach dem Roboter im Handgepäckformat ist groß, eine Marktstrategie jedoch noch nicht festgelegt. Die ersten beiden Kooperationsprojekte sind abgeschlossen, ein Folgeprojekt in Vorbereitung. „Unser Ziel war die Entwicklung einer mobilen Roboterplattform und das haben wir erfolgreich umgesetzt. Im ersten Projekt haben wir den Roboter und das Modul für die Höhenkontrolle entwickelt, im zweiten das für die Markierung und die kamerabasierte optische Kontrolle. Beide Anwendungen funktionieren zuverlässig. Um die Technologie für die breite Masse nutzbar zu machen, braucht es aber eine konkrete Vermarktungsstrategie“, beschreibt Naab den Stand der Dinge. Das Potenzial der beiden Prototypen ist hoch. Egal ob Lizenzmodell, Ausgründung oder anderweitige Kooperation, die Forschenden sind offen für Zukunftsmodelle, um RITA auf Vermessungsfahrt zu schicken.
DR.-ING. CHRISTOPH NAAB - Akademischer Mitarbeiter im Fachbereich Geodätische Sensorsysteme am Geodätischen Institut (GIK)
Die modulare Roboterplattform RITA kann Markier- und Messaufgaben autonom ausführen.
Die gute Höhen- und Lagegenauigkeit der Roboter resultiert aus einer zentralen Reflektornachführung und einem kardanisch gelagerten Pendel, das entweder die Höhenmess (gelber Roboter) oder Markiereinheit (oranger Roboter) trägt.
Teile des RITA-Teams, des GIK und des IPF sowie des Ingenieurbüros Lingel aus Aalen: Prof. Dr. techn. Corinna Harmening, M. Sc. Sebastian Sinn, Dr.-Ing. Christoph Naab, Robert Adrian, Dipl.-Ing. Peter Runge und Lazaro Bayer (v. l. n. r.).
Keyfacts zum Projekt
ZIEL
Entwicklung einer mobilen Roboterplattform, um Arbeitsprozesse im Vermessungssegment zu automatisieren und deren Genauigkeit zu erhöhen
EINSATZ
Zur Markierung und Vermessung von Industrieböden in Produktions- und Lagerhallen
PROJEKT PARTNER
Geodätisches Institut (GIK), Institut für Photogrammetrie und Fernerkundung (IPF), Vermessungsbüro Lingel in Aalen
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